Die Plantage: Roman (German Edition)
bog sie von der Landstraße in einen von Radspuren gefurchten Weg, der an den Reisfeldern von The Willows vorbeiführte und nach anderthalb Meilen vor dem alten Farmhaus endete. Das Gebäude, umgeben von Balsamsträuchern und hohen Steineichen, wirkte auf kuriose Weise überladen. Ursprünglich im strengen Stil der ersten Kolonialzeit erbaut, hatte man nachträglich einen von Säulen getragenen antikisierenden Sims vor die niedrige Fassade gesetzt. Die Eingangsstufen waren zu einer breiten Freitreppe umgestaltet worden und die Fenster der oberen Etage zierten Schnitzwerk und Stuck.
Kaum stieg Antonia vom Wagen, öffnete sich die Haustür und ein Dutzend Kinder stürmte die Treppe herunter. Ihnen folgte Frank Shaughnessey, ein Mann so breit wie hoch, mit rotblondem Backenbart und kleinen blauen Augen, die freudig strahlten, als er durch den Schwarm seiner Söhne und Töchter auf die Besucherin zustampfte.
»Wie schön, Sie wieder einmal bei uns zu haben, Mrs. Lorimer. Kommen Sie herein, das Essen wird gerade aufgetragen.«
Bei den Shaughnesseys wurde immer gerade das Essen aufgetragen. Der Hausherr reichte Antonia galant den Arm und geleitete sie in das geräumige Speisezimmer. Mrs. Shaughnessey rauschte herein, eine Matrone in Volants und Spitzen, die Antonia wie eine Tochter an ihrer Seite Platz nehmen ließ.
Die unkomplizierte, von Herzen kommende Freundlichkeit der Shaughnesseys tat Antonia gut. Frank Shaughnessey war der Einzige unter ihren Nachbarn, der ihr nach Henrys Tod beigestanden hatte. Er hatte mit ihren Gläubigern verhandelt und sogar Bürgschaften übernommen, damit ihre Handlungsfreiheit erhalten blieb; dafür hatte sie ihm ein paar von ihren Feldern übertragen, die an The Willows grenzten.
Shaughnessey respektierte Antonias Lebensstil, ihre freiheitlicheWeltanschauung. Selbst war er zwar weit davon entfernt, seine Sklaven freizulassen, aber auf seiner Plantage lebten die Schwarzen in anständigen Verhältnissen und besser als so manche der freien Pachtbauern. Und Shaughnessey sorgte dafür, dass seine Sklaven mit ihren Familien zusammenblieben. Vor allem führte ihr Weg nie ins gefürchtete Work House, das Zuchthaus von Charles Town, wo renitenten Sklaven die Regeln des Gehorsams mit der Peitsche in die Haut geschrieben wurden.
Am Nachmittag breitete sich eine tiefe Ruhe über das Anwesen. Die Familie und die Diener hatten sich zurückgezogen, nur Antonia und Frank Shaughnessey saßen noch im Speisezimmer. Ein Luftzug bauschte die Vorhänge aus verblasstem Kattun, die vor den offenen Fenstern über die Bodendielen strichen. Alles Geschirr und das Tafelleinen waren abgeräumt, die Tischplatte schimmerte in dem tiefen Glanz, den Mahagoni nach jahrelangem Gebrauch annimmt.
Shaughnessey hatte längst bemerkt, dass Antonia etwas auf dem Herzen hatte. Aber er wollte sie nicht drängen, nahm eine Prise Schnupftabak und schnäuzte sich umständlich.
Antonia lehnte entspannt in ihrem Stuhl. »Mr. Shaughnessey …«
»Bitte, nennen Sie mich Frank!«
»Gut, Frank. Sie wissen, Legacy ist alles, was ich besitze.« Er nickte, und sie fuhr fort: »Als ich zurückkam und die verwüsteten Felder sah und was sie mit meinem Haus gemacht hatten, da brach es mir fast das Herz. Henry und ich hatten mit Legacy einmal Großes vor, erinnern Sie sich? Unsere Pläne von einer freien Gemeinschaft? Ach, wir hatten auch gute Zeiten: Henrys ›Selbsternannte Philosophen‹, unsere Debattierabende in der Bibliothek, die vielen Gäste, die damals nach Legacy kamen … Mit dem Krieg war plötzlich alles zu Ende; Henry lebte nicht mehr, Joshua war in Fort Wren, Charlene und die anderenSchwarzen hatten sich hierher zu Ihnen geflüchtet oder nach Prospero Hill oder Lyndon Hall. Und meine Pächter«, sie schnaubte verächtlich, »diese Feiglinge machten sich aus dem Staub, bevor der erste Engländer über mein Land ritt.«
Shaughnessey, der unterm Zuhören seine Schnupftabakdose am Rockschoß blank rieb, nickte ihr ermunternd zu. Nun erzählte sie ihm von ihrem Besuch bei Ashley & Bolton in Charles Town, dass die Bank den Kredit gekündigt habe und sie finanziell nicht mehr unterstützen wolle.
»Ein ungemein kluger Yankee namens Tyler legte mir nahe, Legacy zu verkaufen. Aber das kommt nicht infrage, ich will die Plantage behalten. Wo sollte ich denn sonst leben?« Als sie Shaughnesseys aufmerksamem Blick begegnete, rückte sie mit ihrem Vorschlag heraus: »Frank, Sie kennen doch die alte Indigoplantage am Plains River, die
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