Die Plantage: Roman (German Edition)
schon wieder? Leise trat er ein. Sie war nicht in ihrem Schlafzimmer. Die Verbindungstür zum Salon war angelehnt.
»Antonia?«
Er klopfte sacht mit dem Griff seines Stocks und schob dieTüre langsam auf. Auch hier war sie nicht. Nach einem Moment des Zögerns trat er ein. Er war erst zwei- oder dreimal in dem mädchenhaften Zimmer gewesen; hier erinnerte alles an sie und weckte in ihm den intensiven Wunsch, ihr nahe zu sein. Er wollte ihr wenigstens ein paar Zeilen hinterlassen, setzte sich an ihren Schreibtisch und nahm Feder und Papier.
»Liebste, ich mache mich auf den Weg nach Ser. Hts. und wollte dich umarmen …« Er schrieb, wie sehr sie ihm in diesem Augenblick fehle, etwas, das er noch nie zu ihr gesagt hatte. Den fertigen Brief vor sich, sah er sich in ihrem Salon um. An der gegenüberliegenden Wand zwischen zwei Fenstern hingen Miniaturen in ovalen Rahmen. Er ging hin, um sie sich aus der Nähe anzusehen. Ein auf Porzellan gemaltes Bild zeigte ein Mädchen mit ungebändigtem Haar und intensiven dunklen Augen. Er hielt es zunächst für ein Portrait von Antonia, dann las er in der Rundung des Rahmens den Namen Adela Cosel, »Mama« war in kindlicher Handschrift hinzugefügt. Daneben, auf Seidenkarton gezogen, hingen Scherenschnitte von drei Mädchenprofilen, nach der Bildunterschrift »Les belles Bells«, die Schwestern Diane, Lydia und Antonia Bell.
Darunter hing noch ein Bild, die Rötelzeichnung eines jungen Mannes mit kinnlangem hellem Haar und offenen Gesichtszügen, der dem Betrachter gelassen entgegensah. William hätte ihn kaum wiedererkannt. Erst ein längerer Blick auf die Zeichnung brachte ihm die Erinnerung an Henry Lorimer zurück. Sie waren sich begegnet, als Henry desillusioniert und am Ende war. Als William jetzt die Zeichnung betrachtete, blickte er in das Gesicht eines selbstbewussten Intellektuellen, dem sein Idealismus auf die Stirn geschrieben stand, und erstmals bekam er eine Vorstellung von dem Mann, in den sich Antonia vor sieben oder acht Jahren verliebt hatte. Lorimer musste ein sympathischer Bursche gewesen sein, intelligent, unverkrampft. Er brachte berühmte Leute ins Haus, sie hatten einen Debattierclub, Freunde, Parties. Offenbar war er spleeniggenug gewesen, seiner Frau den Phaeton zu schenken. Wenn Antonia von ihrem Schreibtisch aufblickte, sah sie jedes Mal das Bild des Mannes, den sie geliebt hatte.
William war mit zwei Schritten beim Schreibtisch, zerknüllte den Brief und warf ihn in die Kaminglut. Seine Worte der Liebe kamen ihm lächerlich vor, wenn er sich vorstellte, wie sie hier saß und Erinnerungen an den Verstorbenen nachhing. Er fühlte sich verletzt, als hätte sie ihn abgewiesen. Natürlich tat er ihr Unrecht, aber das war ihm egal. Er wartete, dass das Blatt verbrannte, und zerstieß mit dem Stock die Asche, ehe er den Raum verließ und die Tür hinter sich zuwarf.
Vor dem Haus wartete Noah mit dem Pferd. Gereizt ging William nach dem Gepäck sehen. Néné war noch nicht fertig und hantierte umständlich mit den Kleidungsstücken. Die Arbeit ging ihm eben langsam von der Hand, William wusste das. Doch jetzt war ein schlechter Zeitpunkt für Trödelei. Die Entdeckung von Henrys Bild stimmte William denkbar ungnädig und er wollte seinen Zorn an jemandem auslassen. Er packte also seinen saumseligen Kammerdiener, schüttelte ihn wie einen jungen Hund und stieß ihn in die offene Ankleide, wo er mit Wäschefächern und Kleiderbügeln krachend zu Boden ging.
William bereute sofort seine unbeherrschte Reaktion, stellte den Jungen wieder auf die Füße und gab ihm einen aufmunternden Klaps. »Mein Gepäck. In drei Minuten!«
Wenig später war er unterwegs nach Serenity Heights.
19.
Die Wolken leuchteten rot vorm purpurnen Abendhimmel, nachdem die Sonne längst hinter dem Hügelkamm verschwunden war. Ein Diener schloss die Vorhänge und entzündete die Kerzen in den Wandleuchtern. Er schob einen Fußschemel vorLonguinius’ Sessel und legte ihm eine wärmende Decke um die Knie.
William war am späten Nachmittag eingetroffen und hatte alleine einen Imbiss eingenommen. Sein Gastgeber ließ sich entschuldigen; eine anhaltende Unpässlichkeit zwang ihn, tagsüber mehrere Stunden zu ruhen. Sobald er sich besser fühlte, kam er in den Salon, um William zu begrüßen.
Erfreut hatte Longuinius bemerkt, dass William den Gehstock nicht mehr brauchte. Er betrachtete ihn mit einem Gefühl von Zuneigung und Respekt und erinnerte sich daran, wie er ihm zum ersten Mal
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