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Die Poison Diaries

Die Poison Diaries

Titel: Die Poison Diaries Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maryrose Wood
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Frühlingstag dein Geburtstag sein«, sage ich, ohne nachzudenken. »Und du kannst so alt sein wie ich, sechzehn, siebzehn im nächsten Monat. Das heißt, dass du älter bist als ich, weil ich erst im Herbst siebzehn werde.«
    »Sechzehn«, wiederholt er. »Also schön.«
    Er isst und ich schaue zu. Nach ein paar Minuten bietet er mir einen Apfelschnitz an.
    »Danke.« Ich nehme das Obst zwischen zwei Finger und hebe es an die Lippen.
    »He!«, ruft er. »Erst musst du doch …«
    »Danke für alles, was mir beschert wurde«, sage ich gehorsam und stecke mir das Apfelstück in den Mund.
    Er braucht nicht lange, um jeden Krümel auf dem Tablett zu verspeisen. »Komm mit.« Ich strecke meine Hand aus. »Der Himmel ist heute von einem ganz wundervollen Blau. Du musst mit nach oben kommen. Wir wollen auf der Wiese spazieren gehen.«
    Er lässt die Gabel fallen. »Mir gefällt es hier unten«, erwidert er.
    »Aber du musst dir das unbedingt ansehen! Die Tulpen blühen, und zwischen den Ruinen wachsen Ebereschen.«
    »Ich mag die Stille«, sagt er leise.
    »Draußen ist es auch still. Man hört nur die lieblichen Töne der Welt, die sich weiterdreht: das Rascheln des Laubs im Wind, das Blöken der Schafe und das leise Zischen der Grashalme in der Brise.« Ich beuge mich so weit vor, dass mein Gesicht ganz dicht vor seinem ist. »Wenn du es lieber still hast, dann verspreche ich dir, dass ich kein Wort sagen werde«, flüstere ich.
    Er schenkt mir keine Aufmerksamkeit. Stattdessen starrt er zur Kellertür hoch, die ich einen Spalt offen gelassen habe, als ich nach unten kam, weil ich beide Hände brauchte, um das Tablett zu halten. Ein kaum spürbarer Luftzug weht zu uns herab.
    Weed schließt die Augen und atmet den reinen Duft des Frühlings ein. Dann legt er den Kopf leicht schräg, als ob er lauschen würde.
    »Also gut«, nickt er. »Die Zeit ist gekommen.«
    ***
    Vaters altes Hemd ist ihm viel zu weit und hängt lose an seinem Körper. Aber es steht ihm gut. Die Hosen sind zu lang, daher helfe ich ihm, die Hosenbeine umzuschlagen. Heute braucht man keinen Mantel; die Sonne durchtränkt unsere Haut, bis es sich anfühlt, als ob unsere eigenen Körper die Wärme ausstrahlen.
    Wir gehen langsam. In Gedanken zeige ich ihm meine Welt in allen Einzelheiten, wie etwa den trockengelegten, mit schweren Holzbrettern abgedeckten Fischweiher, wo früher die Speisefische gehalten wurden. Ich erzähle ihm stumm, dass die Ranken der Waldreben im Lauf des Sommers wachsen und schließlich die zerfallenen Mauern um den Innenhof bedecken und sie in blühende Klippen verwandeln, in Monumente aus dunklem Lila und Scharlachrot.
    Ich könnte erwähnen, dass ich für die Ringelblumen in diesem Sommer einen sonnigeren Platz suchen sollte, und dass die Goldmelisse zu ausladend geworden ist und geteilt werden muss. Ich könnte ihm auch den Pfad zeigen, der hinauf zu Vaters Apothekergarten führt, den wir zwar nicht betreten, uns aber bestimmt durch das verschlossene Tor anschauen dürften, wenn Weed neugierig ist.
    Aber ich habe versprochen, still zu sein, und so spreche ich nichts von dem aus, was ich so gerne sagen will. Würde es ihn überhaupt interessieren? Ich weiß es nicht. Die Antwort auf diese Frage liegt hinter dem verschlossenen Tor seiner eigenen Lippen.
    Nachdem wir den Innenhof durchquert und an der äußeren Mauer vorbeigegangen sind, breitet sich die weite Landschaft vor uns aus. Zu beiden Seiten befinden sich Schafweiden, die sich wie grüne Wellen über die sanften Hügel ergießen. In der Ferne lauert die geheimnisvolle Dunkelheit des Waldes.
    Während wir den Pfad entlanggehen, verschlingt Weed das Land förmlich mit den Augen. Wir erreichen einen kleinen Hain, dessen Bäume eng beieinanderstehen, als ob sie ihre Köpfe neigen und einander Geheimnisse zuflüstern würden.
    Noch während ich das denke, bleibt Weed stehen und lächelt.
    »Schau dir die Bäume an«, sagt er.
    »Dumme alte Klatschtanten«, erwidere ich. Er betrachtet mich fragend, und wir setzen unseren Spaziergang schweigend fort, bis die Stille von einem Tumult in der Hecke vor uns unterbrochen wird.
    Ein Hermelin hat ein Kaninchen am Nacken gepackt. Das Kaninchen, fett und hilflos, kreischt und quiekt verzweifelt, während sie miteinander ringen. Das Kaninchen versucht, das Hermelin abzuschütteln, aber das kleine Raubtier verbeißt sich störrisch im Nacken des Nagers.
    Der lange, biegsame Körper des Hermelins erinnert mich an eine Schlange. Es windet und

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