Die Poison Diaries
Zuckerwürfel sein, denke ich«, sagt er lächelnd. »Sonst ist der Geschmack zu streng.«
Er reicht mir das Glas. Ich bin an Alkohol nicht gewöhnt, aber der Geruch erinnert an Anis und ist recht angenehm. Und das überirdische Grün der Flüssigkeit lässt mich an Weeds Augen denken. Ich frage mich, ob er die Ähnlichkeit ebenfalls erkennt.
»Was für ein üppiger, lebendiger Farbton. Das sieht aus wie ein winzig kleiner Garten, nicht wahr?« Vater riecht anerkennend an dem Glas. »Und nun: der Trinkspruch! Auf meine wunderschöne Tochter Jessamine. Und auf Weed, meinen neuen Sohn.« Warm blickt er uns beide an. »Auf eure Gesundheit!«
»Danke für alles, was uns beschert wurde«, sagt Weed und hebt das Glas an die Lippen.
Ich tue es ihm nach. Der Anisduft, das Brennen des Alkohols und die Süße des Zuckers weichen dem bitteren, metallischen Geschmack auf meiner Zunge. Das komplexe Aroma weckt in mir die Lust auf einen zweiten Schluck, dann auf einen dritten.
»Köstlich, nicht wahr?«, sagt Vater. »Seht nur, wie sich die Flüssigkeit nach einer Weile bewölkt. Es ist ein ganz außergewöhnliches und durch und durch botanisches Getränk; ihr versteht sicher, warum ich es allen anderen vorziehe …«
Fasziniert starre ich in den Absinth. Funkelnde, bunte Edelsteine schaukeln wie Schiffbrüchige auf einem cremegrünen Meer. Ein Kaleidoskop aus Lichtern tanzt in den sanften Wölbungen meines Glases.
Meine Augen sehen immer noch seltsame Dinge
, denke ich.
»Ich hoffe zwar sehr, dass ihr euch das Trinken nicht zur Gewohnheit werden lasst«, sagt Vater gutgelaunt, »aber an einem Tag wie diesem – an einem Verlobungstag! – muss ein anständiger Toast schon sein!«
Ein Verlobungstag
… Liebster Weed – er wird mein Gemahl werden, und noch dazu mit Vaters Segen! Ich komme mir vor wie im Traum, aber nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir Vater in einer solch ausgelassenen Stimmung vorstellen können.
Plötzlich möchte ich, dass Weed weiß, wie groß meine Freude ist, aber ich kann natürlich in Vaters Anwesenheit nicht von Liebe sprechen. Doch jemand, der die geflüsterten Geheimnisse eines Löwenzahns hören kann, kann doch sicherlich die Geständnisse meines allzu menschlichen Herzens vernehmen und die Hingabe in meinen Augen sehen.
Ich suche in Weeds Gesicht nach etwas, das meinen stummen Liebesschwur erwidert. Wenn wir nur allein miteinander sein und frei sprechen könnten – die Ereignisse drohen mich zu überwältigen … meine Knie geben nach …
»Was hältst du von dem Absinth, Jessamine?«, fragt Vater. »Ich hoffe, er ist nicht zu stark für dich. Vielleicht liegt es am Licht, aber mir will scheinen, dass du gerade die gleiche grüne Farbe annimmst wie das Getränk.«
»Ich glaube … ich glaube, mir wird schlecht«, sage ich, und dann weiß ich nichts mehr, denn ich werde ohnmächtig und falle so unvermittelt zu Boden, dass selbst Weed mich nicht mehr auffangen kann.
Kapitel 14
» J essamine? Jessamine?« Weed steht über mir und schwankt hin und her. Nein, das stimmt nicht – Weed steht still. Es ist der Raum, der schwankt. Ich klammere mich an die Decken – ich liege unter Decken, also befinde ich mich vermutlich in meinem Schlafzimmer – und versuche mich aufzusetzen. Aber stattdessen rutsche ich zur Seite und falle fast aus dem Bett.
»Nicht so hastig, Jessamine«, sagt Weed zärtlich. »Bleib still liegen.«
Ich gehorche, da ich ohnehin nichts anderes tun kann. »Was ist passiert?«
»Du hast auf den Trinkspruch hin an deinem Glas genippt, dann noch einmal, und dann hast du dein Glas ausgetrunken, ehe wir dich daran hindern konnten.«
Meine Augenlider schließen sich flatternd. Ich bin zu müde, um die Augen offen zu halten. »Es scheint so, als würde ich Alkohol nicht vertragen.«
Er drückt meine Hand. »Regenwasser ist sowieso viel besser.«
Ich versuche zu lächeln, aber davon bekomme ich Kopfweh. »Willst du mich wirklich zur Frau haben?«, frage ich.
»Aber natürlich«, sagt er und küsst meine Handfläche.
»Aber bitte keine Trinksprüche an unserer Hochzeit«, murmele ich und gleite wieder fort.
***
»Danke für alles, was ihr beschert wurde. Komm jetzt, du musst etwas essen.«
Ich sitze aufrecht im Bett, mit etlichen Kissen als Stütze in meinem Rücken. Weed muss mich mit Suppe gefüttert haben, und er versucht erneut, mir einen Löffel zwischen meine Lippen zu schieben. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann er hereingekommen
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