Die Portugiesische Reise (German Edition)
schwerfallen, von hier fortzugehen. Er kehrt noch zweimal zurück, um sich vorzumachen, dass er weitergefahren und nach einem, nach zwei Jahren wiedergekommen wäre. Das also ist der Pulo do Lobo (dt.: Wolfssprung). Die Spalte zwischen den felsigen Ufern ist so schmal, dass durchaus ein Tier auf der Flucht mit einem Satz drüber hinwegspringen könnte. Ein Wolf soll es getan haben. Und sich so gerettet haben. Das Gleiche empfindet auch der Reisende – dass er hierhergekommen ist, dass er diese phantastischen Felswände, den tiefen Riss im Gestein gesehen hat, ist wie eine Rettung. Als er endlich wegfährt, empfindet er nicht einmal den Weg als schlimm. Vielleicht ist er nur die notwendige Prüfung, um auszusortieren, wer es verdient, an diesen wunderbaren Ort zu gelangen, und wer nicht.
Als er Serpa erreicht, hat der Reisende Mühe, sich wieder an die normale Welt der Menschen zu gewöhnen. Bei der Ausfahrt nach Beja bewundert er die nicht mehr genutzte Kapelle São Sebastião in ihrer ganzen Schönheit, einem Zwitterstil aus Manuelinisch und Mudéjar. Zwitter, denkt er, doch richtiger wäre eigentlich Symbiose, eine nicht nur formale, sondern lebendige Verbindung. So lebendig nun auch nicht, wendet die Stimme der Logik ein, denn dieser Stil hat sich weder über die Grenzen des Alentejo hinaus ausgebreitet, noch hat er sich in abgewandelter Form in der Zukunft fortgesetzt. Doch, lebendig, erwidert die intuitive Stimme, denn die zivile Architektur – Häuser, Schornsteine, Vordächer – verkündet hier, woher sie kommt, welche stilistischen Vorfahren sie hatte: die maurische Bauweise, die sich über die Reconquista hinaus erhalten, und die gotische, die sich dann später mit ihr verbunden hat.
Solchen Gedanken hängt der Reisende nach, da taucht der Guadiana wieder vor ihm auf, nun als breiter, friedlicher Strom. Es ist ein Versteckspiel, das die beiden treiben, ein Zeichen, dass sie einander zugetan sind. Just als er über die Brücke fährt, denkt der Reisende, er würde gern einmal auf einem Boot den Fluss hinunterfahren, von Juromenha bis zum Meer. Vielleicht bleibt es bei diesem Traum, vielleicht aber entschließt er sich irgendwann plötzlich und stürzt sich in das Abenteuer. Dann tritt der Anblick des Pulo do Lobo vor sein Auge, er hört das Tosen des Wassers, sieht deutlich die Strudel zwischen den Felsen, den möglichen Tod. In Zukunft wird der Reisende sich beobachten, halb skeptisch und ironisch, halb zärtlich und erwartungsvoll: Ich möchte doch mal sehen, ob du dazu in der Lage bist.
Gleich darauf weist ein Schild auf die Abzweigung nach Baleizão hin. Das Dorf ist nicht für Kunstwerke bekannt, doch der Reisende murmelt: »Oh, Baleizão, Baleizão«, und biegt ab. Er hält im Ort nicht an, spricht mit niemandem. Er fährt nur durch, wer ihn sieht, wird sagen: »Da, ein Tourist.« Und wird nicht wissen, wie sehr er sich täuscht. Der Reisende atmet die Luft von Baleizão tief ein, fährt zwischen zwei Häuserreihen entlang, sein Blick erhascht im Vorüberfahren das Gesicht eines Mannes, das Gesicht einer Frau, und dass sein eigenes Gesicht, als er am anderen Ende aus dem Dorf herauskommt, keinerlei Veränderung erkennen lässt, liegt daran, dass ein Mann sich, wenn es nötig ist, sehr verstellen kann.
Schon bald ist Beja erreicht. Das ehemalige römische Pax Julia da oben (doch hier, in dieser flachen Gegend, bedeutet oben keine schwindelerregende Höhe) wirkt nicht, als stammte es aus so ferner Vorzeit. Sicherlich, es fehlt nicht an Spuren aus jener Epoche und anderen früheren oder späteren, etwa von den Westgoten, doch dank planlosem Abreißen und Bauen, wieder einmal Nachlässigkeit und dazu, wie immer, dramatischer Ignoranz mutet das Stadtbild auf den ersten Blick wie eine beliebige Häuseransammlung mit wenig oder gar keiner Geschichte an. Man muss suchen, zur Burg, in die Kirchen Santa Maria und Misericórdia, ins Museum gehen. Dort erfährt man, dass Pax Julia (für die Mauren, die kein Latein konnten, Baju, dann Baja und schließlich Beja) überreich an Geschichte ist.
Der Reisende geht zuerst in die Kirche Santa Maria. Drinnen erwartet ihn weder eine Überraschung noch eine Enttäuschung – die drei Schiffe im klassischen Zuschnitt, ein kurioser Baum Jesse , aber nichts Besonderes. Das Schönste an Santa Maria befindet sich draußen, für jeden Passanten sichtbar: das Vordach mit drei Bögen an der Front, weiß, wie es sich für Orte südlich des Tejo gehört, nur die Kapitelle, auf
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