Die Porzellanmalerin
ihr Traum der Wirklichkeit entsprach und Giovanni tatsächlich im Gefängnis saß? So unwahrscheinlich war das nicht, führte er doch ein äußerst aufregendes Leben und verbarg mehr als ein Geheimnis. Die seltsamen Andeutungen, die die Contessa und auch die Zofe Marie gemacht hatten, von seiner Schreiberei, seinen Freundschaften mit Theaterleuten, der guten Beziehung zum Papst: All das barg genug Sprengstoff, um den Ärger irgendwelcher einflussreicher Persönlichkeiten auf sich zu ziehen; man hörte doch immer wieder von unbequemen Zeitgenossen, die plötzlich für Jahre in der Versenkung verschwanden, wenn sie überhaupt jemals wieder auftauchten. Mit dieser Wendung wäre außerdem erklärt, warum Giovanni sich all die Monate noch immer nicht bei ihr gemeldet hatte.
Friederike lächelte traurig. Ein schwacher Trost, wenn sie bedachte, dass er womöglich in ernster Gefahr schwebte. Das Schlimmste war, sie konnte nichts für ihn tun, rein gar nichts! Kein einziges Detail aus ihrem Traum, den sie nun schon zum x-ten Mal Revue passieren ließ, konnte darüber Aufschluss geben, an welchem Ort Giovanni sich befand, in welchem Kerker. Wenn der Traum überhaupt der Realität entsprach …
Wie erstaunt war sie, als sie schließlich das Abendgeläut hörte, das den Mitarbeitern der Manufaktur das Ende ihres Arbeitstages anzeigte. Viel geschafft hatte sie nicht, aber wenigstens hatte Caspar Ebersberg sich den ganzen Tag über nicht bei ihr
blicken lassen. Das Wiedersehen mit ihm und vor allem sein dreistes Verhalten beim Abschied hatten größte Unruhe in ihr ausgelöst. Ja, vielleicht hing sogar ihr seltsamer Giovanni-Traum, die Bedrohung, die darin geschwelt hatte, irgendwie mit Caspars Auftauchen zusammen. Jedes Mal, wenn sich im Korridor Schritte genähert hatten, war sie zusammengezuckt, vor lauter Angst, der Modelleur könnte gleich in ihr Zimmer treten.
Erleichtert legte sie nun den Deckel der Schmuckdose aus der Hand, an der sie neben einigen anderen Stücken den ganzen Tag über gearbeitet hatte. Heute war Zinnoberrot an der Reihe gewesen, die letzte Farbe, die noch gefehlt hatte. Sie hatte den gemahlenen Cinnabarit in einem kleinen Schälchen mit ein wenig Terpentin vermischt und der Dame mit dem Fächer und dem kleinen Pudel, die so spitzbübisch von der Dose herunterlächelte, einen knallroten Kirschmund und ein Brusttuch in derselben Farbe verpasst. Fast wären noch zwei Apfelbäckchen dazugekommen, sie hatte sich aber in letzter Sekunde gebremst. Schließlich handelte es sich nicht um eine erhitzte Stallmagd, sondern um ein feines Fräulein, das sich schon die ganze Zeit Luft zugefächelt hatte. Jetzt musste sie nur noch das sechsspeichige kurmainzische Rad, die Marke der Höchster Porzellanmanufaktur, auf die Unterseite der Dose setzen. Fertig!
Friederike reckte die Arme über den Kopf und dehnte ihren schmerzenden Rücken. Der Nacken und die Schultern taten ihr besonders weh. Kein Wunder, hatte sie doch mehrere Stunden hintereinander in immer derselben ungesunden Haltung über der Arbeit gesessen, einmal ganz zu schweigen von der ungemütlichen Nacht. Sie faltete die Hände hinter dem Rücken zusammen und drückte die Arme durch, bis ihre Schulterblätter aneinanderstießen. Das tat gut. Sie sollte öfter ein paar Turnübungen machen; auch Herr Schlosser hatte ihr geraten, sich mehr zu bewegen, zumal sie jetzt nur noch sehr unregelmäßig zum Fechten ging.
Als sie wenig später in das kleine, schiefe Häuschen in der Kronengasse kam, begrüßte Josefine sie mit den Worten:
»Stell dir vor, die Anna denkt, Caspar interessiert sich für sie!«
»Wie kommt sie denn darauf?«, fragte Friederike verblüfft.
»Er hätte sie so bedeutungsvoll angesehen, hat sie mir erzählt. Das würde sie schon von anderen Männern kennen, diesen Blick.«
»Aber Caspar sieht alle Frauen so an!«
»Das weiß die Anna aber nicht. Ich habe ihr natürlich auch gesagt, dass mir das ziemlich unwahrscheinlich vorkommt. Aber sie hat steif und fest behauptet, sie hätte da so was gespürt.«
»Na ja, vielleicht ist es ja so.«
»Quatsch, Friedrich, wir waren doch dabei! Was soll da schon gewesen sein? Die Anna bildet sich mal wieder was ein. Das ist ja nicht das erste Mal.«
»Aber manchmal bildet sie es sich anscheinend so lange ein, bis tatsächlich was passiert …«
Friederike war an diesem Abend nicht danach, sich länger mit der Freundin zu unterhalten. Sie verzog sich gleich in ihre Dachkammer, so müde war sie. Als
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