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Die Praktikantin

Die Praktikantin

Titel: Die Praktikantin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Rest des Aufmachers auf Seite eins dann eine Stunde, für einen Umlauf auf der Drei, ein Stück über die behandelnden Ärzte, eine genaue Beschreibung Henris (sie hatten ihn so getauft, weil das Kind einer Freundin so hieß) und des Tragekorbes insgesamt noch einmal zwei Stunden. Um kurz nach acht konnten wir alle Seiten belichten. Auf der Titelseite stand die Schlagzeile, die uns am nächsten Tag den höchsten Einzelverkauf in der Geschichte des Blattes bescheren sollte: »Baby vor Redaktion ausgesetzt – Wo ist die Mutter?«
    »Hoffentlich erkennt einer den Kleinen«, sagte Elisabeth, als wir nach dem Andruck gemeinsam in der
Auberge
saßen, einem kleinen Restaurant, das erst vor vier Monaten eröffnet und Preise hatte, wie man sie in Wützen nur aus Fernsehserien gewohnt war. Sie trank Weißwein (immerhin!), ich einen Sambuca auf Eis ohne Kaffeebohnen.
    Es war ihre Idee gewesen, noch einmal in Ruhe über die Themen des nächsten Tages zu reden. Meine war es, es in der
Auberge
zu tun. Wir hätten zwar auch in der Redaktion bleiben können, weil trotz Ausnahmezustands alle Redakteure wie gewohnt gegen 18 Uhr nach Hause gegangen waren. Nur Rita Bolzen war etwas länger geblieben, um weitere ihrer Fotos zu verschicken, die jetzt mindestens 300 Euro kosteten. Die sonst bei jeder Gelegenheit verfluchten Mechanismen der freien Marktwirtschaft kamen ihr in diesem Fall offenbar gerade recht. Auf ihrem Schreibtisch sah ich einen Zettel, auf dem sie die Einnahmen des Tages addiert hatte. Bisher hatte ihr Henri genau 3500 Euro |157| gebracht. Ob die Bolzen das Geld wohl zur Hälfte der Gewerkschaft spenden würde?
    »Morgen mache ich mich auf die Suche nach der Mutter«, sagte Elisabeth. Sie hatte nur kurz gezögert, als ich sie in die Auberge eingeladen hatte.
    »Das wird gar nicht so einfach«, sagte ich. »Wir können nur hoffen, dass sich der Vater meldet. Oder die Großeltern.«
    »Ich kriege schon irgendetwas raus.« Elisabeth hatte immer noch kleine, rote Flecken im Gesicht. »Ein Bekannter meines Papas ist Chefarzt in der Geburtsklinik. Den treffe ich gleich morgen früh.«
    »Hat die Polizei mit dem denn noch nicht gesprochen?«
    »Geht nicht. Der war heute auf einer Fortbildung. Mein Vater hat ihn erst spät abends auf dem Handy erreicht. Er hat gesagt, dass es in den vergangenen drei bis fünf Tagen nur zehn Geburten gab. Und vier davon waren Türken.«
    »Türken setzen ihre Kinder bestimmt nicht aus. Schon gar nicht vor der Tür einer deutschen Lokalzeitung.«
    »Sie verstehen nicht, was ich meine, Herr Walder.«
    Herr Walder, Herr Walder, Herr Walder. Ich bestellte noch einen Sambuca. Wieder auf Eis, wieder ohne Kaffeebohne. Elisabeth musste mich für einen James Bond für Arme halten. Geschüttelt, nicht gerührt, Sie wissen schon.
    »Henri sieht doch überhaupt nicht aus wie ein Südländer, Herr Walder.«
    Warum hieß ich nicht Herbert Bert? Dann hätte Elisabeth nicht anders gekonnt, als mich mit meinem Vornamen anzusprechen, und nur das Sie noch zwischen uns gestanden.
    »Eher wie ein Chinese. War ganz schön gelb, der kleine Mann.«
    »Er muss jetzt im Krankenhaus alle zwei Stunden unter so eine Lampe. Neugeborenengelbsucht, oder so.«
    »Was meinen die Ärzte denn, woher der Kleine kommen könnte?«
    »Sie haben keine Ahnung.«
    |158| »Wer könnte der Vater sein?«
    »Vielleicht war es ein One-Night-Stand. Oder er ist abgehauen, als er erfahren hat, dass sie ein Kind kriegt. Oder er hat eine andere. Oder sie ist seine Sekretärin. Sie wissen doch, Herr Walder: Männer sind Schweine.«
    Für einen Moment war die Stimmung der vergangenen Stunden, diese Mischung aus Aufregung und Neugierde, dahin. Elisabeth war nicht mehr die leidenschaftliche Detektivin, sondern eine verbitterte Frau. Hatte es bei der Bolzen irgendwann auch so angefangen? Einen Sambuca durfte ich noch.
    »Wann sind Sie denn morgen beim Chef der Geburtsklinik?«
    »Ich kann um 9 Uhr da sein. Eigentlich darf er mir die Akten ja nicht zeigen. Aber wir tun einfach so, als würde ich Wützens neue Erdenbürger in der Zeitung vorstellen wollen – und dann muss er ja mal nachgucken, wer so zur Welt gekommen ist in den vergangenen Tagen.«
    »Ausgesetztes Baby: Jetzt spricht die Mutter.«
    »Was soll das sein, Herr Walder?«
    »Unsere nächste Schlagzeile. Wenn Ihre Kontakte wirklich so gut sind …«
    »Da müssen Sie sich keine Sorgen machen. Noch einen Sambuca?«
    »Nur, wenn Sie auch einen trinken.«
    »Zwei Sambuca«, Elisabeth schaute mir

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