Die Prinzen Von Irland
schrecklichen Besuch abgestattet. Aber im vergangenen
und in diesem Jahr war alles ruhig gewesen. Keine Kriegsschiffe, kein Lärm
heranjagender Pferdehufe, keine bedrohlichen Feuer, kein Waffengeklirr: Der
Hafen von Dyflin war unter einem neuen König namens Sitric ein Ort ruhigen
Handels geworden. Es wurde Zeit, an Familienfreuden und an die Liebe zu denken.
Und da Morann in dieser Hinsicht nicht klagen konnte, war es Zeit, in dieser
Hinsicht auch für seinen Freund Harold zu sorgen.
Was war nur los mit
ihm? War es nur Nachlässigkeit, wie er behauptete, oder war Schüchternheit der
Grund, warum Harold keine Begegnungen mit hübschen Mädchen hatte? »Nur wenn’s
nicht darum geht, dass ich wieder irgendeine Frau kennen lernen soll«, hatte er
gesagt, als Morann ihn eingeladen hatte. Schon ein Jahr zuvor hatten sie einmal
versucht, ihn mit einem Mädchen bekannt zu machen. Damals hatte
er den ganzen Abend lang kein Wort geredet. »Ich wollte nicht, dass sie sich
falsche Hoffnungen macht«, hatte er anschließend erklärt, worauf Morann
verständnislos den Kopf schüttelte und seine Frau die Augen verdrehte. Nun war
es an der Zeit, einen neuen Versuch zu wagen. Diesmal hatte Freya das Mädchen
ausgesucht: Astrid, eine Verwandte von ihr. Den ganzen Vormittag hatte sie ihr
von Harold vorgeschwärmt, hatte ihr alles über ihn erzählt, das Gute wie das
Schlechte. Obwohl der Norweger nicht die geringste Ahnung hatte, war sie
bereits mehrmals unten gewesen, wo er arbeitete, und hatte ihn sich angesehen.
Um das Problem mit Harolds Schüchternheit zu lösen, war man übereingekommen zu sagen,
sie sei unterwegs nach Waterford, wo ihr Verlobter wohne.
Am liebsten hätte
Morann seinen Freund mit einer so guten Frau wie seiner eigenen verheiratet
gesehen. Er blickte zärtlich zu ihr auf. Auch wenn es zwei Volksstämme, den
keltischen und den skandinavischen, in Irland gab – und die Barden sie bei der
Schilderung ihrer Schlachten zu unerbittlichen Feinden: Kelten gegen Wikinger
oder »Gaedhil und Gaill« stilisieren mochten –, so war diese Unterscheidung in
der Wirklichkeit nie so einfach gewesen. Obwohl die Wikinger–Häfen zweifellos
nordische Enklaven waren, hatten die Nordmänner seit ihrer Ankunft Frauen von
der Insel geheiratet und die irischen Männer sich Skandinavierinnen zur Frau
genommen.
Freya war gekleidet,
wie es eine gute skandinavische Ehefrau zu sein hatte – mit schmucklosen
Wollstrümpfen, Schuhen aus Leder und einem Kleid mit Gürtel über einem leinenen
Untergewand. Von der Perlmuttschließe an ihrer Schulter hingen an einer
silbernen Kette zwei Schlüssel, eine kleine bronzene Nadeldose und eine kleine
Schere. Ihr hellbraunes Haar war aus der breiten Stirn streng nach hinten
gebunden und unter einem Haarnetz verborgen. Nur Morann kannte die Feuer, die
unter dem sittsamen Äußeren seiner Frau loderten. Sie konnte genauso wild und
lüstern sein, dachte er sich heimlich anerkennend, wie jede beliebige Hure. Das
war genau der Typ von Frau, die sein Freund brauchte.
Auch diese Astrid war
Heidin. Obwohl ihre Nachbarn in Fingal Christen waren, war Harolds Familie
heimlich ihren alten Göttern treu geblieben. Moranns Frau war ebenfalls Heidin
gewesen, aber als sie ihn heiratete, war sie zum Christentum übergetreten.
Darauf hatte er bestanden, denn er fühlte, dass dies der Respekt gegenüber
seiner Familie verlangte. Als sie ihn gefragt hatte, was es bedeutete, wenn sie
eine Christin wurde, hatte er ihr eine Antwort gegeben, die seines einäugigen
Ahnen vor sechs Jahrhunderten würdig gewesen wäre: »Es bedeutet, dass du tust,
was ich dir sage.« Er musste grinsen, als er wieder daran dachte. Aber fünf Jahre
glückliche Ehe und zwei Kinder hatten ihn eines Besseren belehrt.
Sicher hatte Freya
wieder ein herrliches Mahl zubereitet. Sie lebten nach Wikingerart: ein
bescheidenes Frühstück am Morgen, danach nichts mehr bis zur Hauptmahlzeit des
Tages am Abend. Zu Beginn eingelegter Hering und frischer Fisch aus der
Flussmündung, zwei Sorten frisch gebackenes Brot; als Hauptgang geschmortes
Kalbfleisch mit Lauch und Zwiebeln; zum Abschluss Quarkkäse und Haselnüsse. Das
Ganze wurde mit Met und einem guten, per Schiff aus Frankreich importierten
Wein begossen. Das Eintopfgericht garte in einem Kessel, der über dem zentralen
Herdfeuer im großen Hauptraum des Hauses hing. Er konnte es bis in seine
Werkstatt riechen.
»Soll ich mich jetzt
auf den Weg machen?«, fragte er Freya. Sie nickte. Und so
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