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Die Prinzen Von Irland

Die Prinzen Von Irland

Titel: Die Prinzen Von Irland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Untertanentreue stellte er überdies Geiseln. Angeblich sollen so
viele Könige Niall ihre Söhne als Geiseln gesandt haben, dass er als Niall der
neun Geiseln im Gedächtnis blieb. Sein mächtiger Clan hatte nicht nur die
Vorherrschaft über die Insel errungen und den Titel des Hochkönigs beansprucht,
sondern auch die Könige von Leinster gezwungen, ihm den alten Königssitz Tara
zu überlassen, den sie zum zeremoniellen Zentrum ihres eigenen Hauses zu machen
gedachten, von dem aus sie die gesamte Insel beherrschen konnten.
    Aber
so mächtig Nialls Clan auch sein mochte – auch Hochkönige waren der Gnade von
noch mächtigeren, natürlichen Kräften ausgeliefert.
    Es
war ganz unerwartet, direkt nach dem Lughnasa–Fest geschehen. Zehn Tage Regen
hatten den Boden in einen Sumpf verwandelt und die Ernte vernichtet. Niemand
konnte sich an einen Sommer wie diesen erinnern. Und schuld daran war der
Hochkönig. Auch wenn die Ratschlüsse der Götter selten klar waren, konnte ein
so schreckliches Wetter nur bedeuten, dass sich zumindest einer von ihnen beleidigt
fühlte.
    Jeder
Ort hatte seine besonderen Götter. Sie wuchsen aus der Landschaft und den
Geschichten der Menschen hervor, die einst dort gelebt hatten. Jeder konnte
ihre Gegenwart spüren. Wenn ein Mensch sich auf einen der erhöhten Orte der
Insel begab, den Blick über die smaragdgrünen Wälder und Wiesen schweifen ließ
und die weiche Luft der Insel einatmete, platzte ihm schier das Herz vor
Dankbarkeit gegenüber Eriu, der Muttergöttin des Landes. Wenn am Morgen die
Sonne aufging, strahlte er, wenn er sah, wie der gute Gott Dagda auf seinem
Ross über den Himmel ritt – der freundliche Dagda, dessen magischer
Zauberkessel ihn mit allen guten Dingen des Lebens versorgte. Wenn er an der
Küste stand und hinaus auf die Wellen blickte, konnte ihn leicht das Gefühl
beschleichen, als sähe er den Meeresgott Manannan Mac Lir aus der Tiefe
aufsteigen.
    Aber
die Götter konnten auch Furcht einflößen. Unten, vor der Südwestspitze der
Insel, auf einem Fels in der schäumenden Brandung, wohnte Donn, der Herrscher
über die Toten. Bei den meisten Menschen war Donn gefürchtet. Und auch die
Muttergöttin konnte Angst und Schrecken verbreiten, wenn sie die Gestalt der
zornigen Morrigain oder Morgane annahm, mit ihren Raben kam und in der Schlacht
über den Männern ihr krächzendes Geschrei anhob.
    Die
Könige hatten große Macht, solange ihr Tun den Göttern gefiel. Aber auch ein
König hatte sich in Acht zu nehmen. Wenn ein Herrscher einen Gott – oder auch
nur einen der Druiden oder filidh, der mit ihnen sprach
– verärgerte, konnte er leicht eine Schlacht verlieren. Jedermann wusste: Ein
schlechter König brachte Unglück; ein guter wurde mit satten Ernten belohnt.
Dahinter steckte eine bestimmte Moral. Die Leute sprachen es vielleicht noch
nicht offen aus, aber er wusste, was sie sich im Stillen dachten: Wurde die
Ernte vernichtet, dann war vermutlich der Hochkönig daran schuld.
    Aber
sosehr er auch sein Gewissen erforschte, der Hochkönig konnte sich an kein
bedeutendes Vergehen von seiner Seite erinnern, das den Zorn der Götter auf
sein Haupt herabgezogen haben könnte. Er belohnte sein Gefolge gut; die Feste
des Hochkönigs waren prunkvoll. Er war gewiss kein Feigling. Er war nicht
neidisch oder kleinlich. Auch seine Gemahlin konnte sich in dieser Hinsicht
nicht beklagen.
    Er
hatte die Druiden um Rat gefragt. Auch sie konnten ihm nur dazu raten, Opfer
darzubringen. Im Moment herrschte gutes Wetter. Daher hatte er vor ein paar
Tagen beschlossen, abzuwarten und zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln.
    »In
Connacht wurde Euch Schande angetan.« Wie ein Dolch durchstieß die Stimme
seiner Frau das Schweigen, in das sich seine Gedanken hüllten. Unwillkürlich
zuckte er zusammen.
    »Das
ist nicht wahr.«
    »O
doch, es war eine Schande.«
    »Ihr
meint, die Schmach, die mir in Connacht zugefügt wurde, war das, was den Regen
brachte. Ist es das, was Ihr damit sagen wollt?«
    Sie
antwortete nicht, doch zumindest einen Moment lang schien endlich einmal ein
leichtes befriedigtes Lächeln über ihr Gesicht zu huschen.
    Der
Zug nach Connacht hatte im Nichts geendet. Im Sommer war es Brauch, dass der
Hochkönig und seine Bediensteten bestimmte Teile der Insel besuchten und
Tributzahlungen erhielten. Dadurch wurde nicht nur die höchste Autorität des
Hochkönigs bestätigt, sondern es wurden auch bedeutende Einnahmen erzielt.
Große Viehherden wurden

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