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Die Probe (German Edition)

Die Probe (German Edition)

Titel: Die Probe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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an ihren Lippen.
    Schmunzelnd fuhr sie weiter: »Ich möchte zur Solarzelle zurückkehren, die uns ja hier am Institut beschäftigt. Wie sieht die Zukunft der Solarzelle aus?« Sie ließ den Blick langsam über die kleine Schar schweifen. Es blieb still, alle warteten gespannt auf ihre Antwort. »Ich bin keine Hellseherin, aber ich habe eine ziemlich klare Vorstellung von der Zukunft der Solarzelle. Es wird ihr ergehen wie den Computern: sie wird allmählich verschwinden.« Sie lachte, als sie die verblüfften Gesichter sah. »Soll heißen: Solarzellen werden so gut wie unsichtbar. Man wird sie überall finden, aber sie werden nicht mehr auffallen. Sie werden sich kaum mehr als hässliche, abstehende Ohren auf Dächern breitmachen, sondern in die Baumaterialien integriert sein, in die Dachziegel, die Wände, die Fenster, die Windschutzscheibe der Autos, ja selbst in die Kleider. Sie werden buchstäblich unter Strom stehen.«
    Diese Goodwill-Veranstaltungen strengten sie mehr an als ordentliche Vorlesungen, doch für Lauren bildeten sie einen wichtigen Bestandteil ihrer Tätigkeit. Sie boten ihr die beste Möglichkeit, den akademischen Nachwuchs für ihre Forschung zu begeistern und den jungen Leuten ihre Wertvorstellungen und Visionen zu vermitteln. Trotzdem atmete sie erleichtert auf, als die Schar den Hörsaal verlassen hatte.
    Vor ihrem Büro erwartete sie der Physiker ihres Teams, ein Spezialist in der jungen Disziplin der Metamaterialien.
    »Lauren, das musst du dir ansehen!« rief er ihr entgegen und eilte ihr voraus zu den optischen Labors. Er führte sie in die Ecke, wo das REM stand, das Rasterelektronenmikroskop, ein unscheinbarer weißer Zylinder neben einem altmodisch anmutenden Computerbildschirm. Ohne dieses Gerät lief gar nichts in der Erforschung moderner Materialien, denn die Wissenschaftler hier beschäftigten sich mit Strukturen, Atomgittern und Kristallen, die kleiner waren als die Wellenlänge des sichtbaren Lichts. Ohne die hochauflösenden Bilder des REM wären diese Forscher schlicht blind.
    Der Physiker zeigte stumm auf den Bildschirm. Sie war keine Spezialistin auf diesem Gebiet und das komplizierte, aber regelmäßige, schwarze Schlangenmuster sagte ihr nichts, nur die Längenangabe des Maßstabs verblüffte sie. Die Strukturen auf diesem Bild waren mindestens zwanzigmal kleiner als sie erwartet hatte, die Linien dünner als zehn Nanometer, das Grundmuster kürzer als fünfzig millionstel Millimeter. Solche unvorstellbar feinen, geometrischen Strukturen konnten einfallende Lichtstrahlen auf völlig unerwartete Weise beeinflussen. Nach diesem Prinzip funktionierten auch die Metamaterialien, Stoffe mit negativem Brechungsindex, mit denen Physiker eine moderne Version der Tarnkappe schaffen wollten.
    »Scheint eine optisch aktive Schicht zu sein«, sagte sie unsicher, ohne zu ahnen, was er ihr damit zeigen wollte. Er nickte begeistert.
    »Und du wirst gleich verstehen, weshalb sie für uns so interessant ist.« Er zog einen Computerausdruck aus einem Stapel Unterlagen und hielt ihn ihr unter die Nase.
    »Soll das eine Ratestunde sein?«, brummte sie unwirsch, doch als sie die Diagramme sah, hellte sich ihre Miene sofort auf. Ungläubig betrachtete sie die rote Kurve, die das neue Material beschrieb und die grauen Referenzkurven, die der Physiker zum Vergleich aufgezeichnet hatte. »Stimmen diese Reflexionsfaktoren?«
    »Worauf du dich verlassen kannst. Dieses Metamaterial ist so konstruiert, dass es praktisch das ganze Spektrum des sichtbaren Lichts gebündelt nach unten leitet und kaum etwas reflektiert. Das funktioniert selbst für flache Einfallswinkel, und wir können das Muster sehr leicht variieren.« Lauren begriff sofort, was das bedeutete.
    »Die ideale Beschichtung für unsere Solarzellen«, murmelte sie nachdenklich. Dieses Material sammelte gewissermaßen Lichtenergie und leitete sie gezielt auf die Sonnenzellen, wenn man die dünnen Schichten richtig kombinierte. Damit ließ sich auch diffuses Licht wirksam in elektrischen Strom umwandeln. Ein Quantensprung! »Fantastisch. Das ist genial, aber zu spät für unseren Versuch in Portugal.« Der Physiker schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Ich glaube, da irrst du dich. Wir sind bereits einen Schritt weiter. Die Herstellung ist zwar noch ein wenig heikel, aber wir haben es geschafft, eine Folie zu Testzwecken zu entwickeln.« Er holte ein weiteres Blatt aus seinem Stapel. Es war in der Mitte gefaltet und diente als Schutzumschlag für

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