Die Prophezeiung

Kleidern zu wischen. Ihre Kehle war wie ausgedörrt. Ihr Mund war trocken und pelzig.
    Es war Robert und nicht der zuverlässige David, der zu ihr kam und ihr leicht die Hand auf den Arm legte. »Geht’s?«, fragte er ernsthaft.
    Und diese kleine Geste half Katie mehr als alles andere.
    »Ja«, flüsterte sie. »Danke.«
    Schweigend liefen sie weiter, bis sie abermals an einer Kreuzung ankamen. Wieder zweigten jeweils rechts und links Seitenwege ab.
    Katie blieb stehen. »Wohin führen die nur?« Ihre Stimme hörte sich heiser an. Sie musste husten. Noch immer lag Staub in der Luft.
    »In die Irre«, erwiderte Robert. »Ich glaube, sie sind nur Täuschungen.«
    »Du meinst, sie enden irgendwann in einer Sackgasse? Woher willst du das wissen?«
    »Ich weiß es nicht. Es handelt sich lediglich um eine Vermutung. Aber es gibt ein gewisses System.«
    »Was für ein System?« David hatte sie eingeholt. Er war auf den letzten Metern immer langsamer geworden.
    Katie hörte sein unterdrücktes Aufstöhnen. Als sie sein Gesicht sah, war es schmerzverzerrt.
    »Wieder dein Fuß?«
    David biss die Zähne zusammen. »Eine Zeit lang war es besser, aber jetzt spüre ich ihn überhaupt nicht mehr.«
    »Schaffst du es weiter?«, fragte Katie.
    »Ich muss wohl, wenn ich nicht hier in dem Stollen sterben will.«
    »Niemand wird sterben«, sagte Robert.
    »Zumindest haben wir noch keine Skelette gefunden. Das macht mir Hoffnung.« Katie sah sich um. »Was meinst du, Robert, wie alt sind diese Gänge?«
    Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf die Stollenwände, die sie von beiden Seiten einschlossen.
    »Schwer zu sagen. Vielleicht ist der Eingang natürlichen Ursprungs. Aber die Treppe – sie wurde aus dem Felsen gehauen und dann mehrfach erneuert. Wie auch die Mauern hier. Sie sind wie abgeschliffen. Es scheint mir unmöglich, das Gestein ohne Einsatz von Maschinen so präzise und sauber zu bearbeiten.«
    »Aber welche Funktion haben sie?«
    »Erst einmal muss man verstehen, nach welchem System sie angelegt wurden. Diese Seitengänge zum Beispiel. Ihr Abstand zueinander erfolgt nach einem Muster.«
    Katie hatte keinen blassen Schimmer, woher Robert sein Wissen hatte, nach welchem Prinzip sein Verstand funktionierte oder welche Extraausstattung sein Gehirn haben musste, dass er Dinge sah, die sonst keiner erkennen konnte. Aber in einem Punkt war sie sich sicher. Kein Mensch, nicht einmal der intelligenteste, konnte in die Zukunft sehen. So etwas gab es nicht.
    Aber manche hatten eine große Überzeugungskraft und einen unbedingten Glauben an sich selbst. Zu diesen seltenen Exemplaren, die sich nicht von ihren Einsichten abbringen ließen, gehörte Robert. Julia hatte es ihr immer wieder gesagt, aber sie hatte es noch nie wirklich erlebt.
    »Ein Grund dafür«, hatte Julia erklärt, »dass Robert noch nie einen Schachwettbewerb verloren hat, ist wohl sein Durchhaltevermögen. Er besitzt eine Wahnsinnsgeduld, wenn es darum geht, Spielzüge vorauszuplanen. Manchmal saß er stundenlang vor dem Brett und hat nur nachgedacht.«
    »Er spielt Schach?« Katie war verwundert. »Und warum ist er nicht im Schachklub des Colleges?«
    Julia hatte die Augen geschlossen und gemurmelt: »Er spielt nicht mehr.«
    »Warum, wenn er so ein Genie ist?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Nun, Katie hatte es ihr nicht geglaubt, aber jeder hier hatte seine Geheimnisse und niemand konnte das besser verstehen als sie. Vertrauen, das war nichts, was die Vergangenheit betraf, sondern allein die Zukunft. Es war wie ein Vorschuss, ein Darlehen, das man einem anderen Menschen gewährte.
    Katie machte sich nicht die Mühe, Robert zu fragen, welches Muster er meinte. Sie wusste inzwischen, dass er erst dann antworten würde, wenn er es wollte. Auf den Zeitpunkt selbst hatte sie keinen Einfluss.
    David allerdings wagte einen neuen Vorstoß. »Wenn du etwas weißt, Robert, musst du es uns sagen.«
    Prompt schüttelte Julias Bruder den Kopf. »Warte es ab, bis ich es belegen kann.« Seine Stimme wurde hoffnungsvoll. »Aber wenn ich recht habe, wird es alles verändern.«
    Welcher Irrweg des Schicksals hatte ausgerechnet sie, Katie, mit diesen beiden hier nach unten geführt? Jeder von ihnen hatte auf seine eigene Art diese unverständliche Neigung, Verantwortung zu übernehmen.
    Während David ständig daran dachte, seine Mitmenschen zu retten, schien Robert nur von einer Sache angetrieben: Er wollte das Rätsel um das Tal lösen.
    Und ich, fragte sie sich. Was ist mit