Die Prophezeiung
möchte?« Sie seufzte. »Er hat sich eine verrückte Idee in den Kopf gesetzt und dafür nimmt er das Risiko in Kauf.«
Julia fuhr herum. »Das ist es ja! Das ist sein Problem.« Jetzt weinte sie fast. »Ich … ich weiß es. Ich weiß, wozu er fähig ist. Seht ihr das denn nicht?«
Katie blickte Julia irritiert an und auch Rose schien nicht zu wissen, was ihre Mitbewohnerin meinte.
»Er hat keine Angst davor zu sterben«, schrie Julia. »Er fürchtet den Tod nicht. Er will nichts lieber als von hier weggehen, aber er bleibt. Er bleibt wegen mir.« Sie begann zu schluchzen.
Und Katie ahnte plötzlich: Julia hatte recht.
Sie gehörte nicht zu den Menschen, die andere in den Arm nahmen. Aber genau das tat sie nun, weil sie selbst das Gefühl hatte, jemanden zu brauchen. Sie zog ihre Freundin fest an sich und flüsterte eindringlich: »Julia, ich verspreche es dir. Wenn Robert in zwei Stunden nicht vor uns steht, informiere ich persönlich den Dean und führe die Suchmannschaften zu der Stelle, wo wir uns getrennt haben. Aber wenn es wahr ist, was du sagst, dann vertraue ihm. Sein Leben mag für ihn keine Rolle spielen, aber er würde dich genauso wenig im Stich lassen, wie er Benjamin im Stich gelassen hat.«
Katie verschwand in ihrem Zimmer und schloss hinter sich ab. Für das, was sie jetzt vorhatte, musste sie alleine sein. Sie hatte sich aus der Mensa zwei Äpfel und ein belegtes Baguette geholt, dann endlich eine lange Dusche genommen und ihre Sportklamotten übergezogen, in denen sie sich am wohlsten fühlte. So kauerte sie sich auf dem Schaukelstuhl zusammen, öffnete den Rucksack und holte den Aktenordner und die Loseblattsammlung hervor.
Den ganzen Weg über zurück zum College hatte sie es kaum erwarten können, die Aufzeichnungen zu lesen. Doch nun zögerte sie. Eine Weile lag der Ordner auf ihren Knien, während sie hin und her schaukelte.
Sie hielt sich für einen verdammt ehrlichen Menschen – und fürchtete sich doch vor der Wahrheit? Das war wirklich total strange.
Sie holte tief Luft – tu’s einfach, Katie.
Egal, was du darin findest. Es ist vorbei, vergangen.
Nachdem Katie die ersten Seiten durchgeblättert hatte, entspannte sie sich etwas. Die Notizen waren belanglos, beispielsweise Listen über die Essensvorräte, geschrieben von einer Martha. Eine farbige Zeichnung der Hütte und der Landschaft aus der Feder von … Grace.
Sie war wirklich begabt gewesen.
Katie seufzte und verdrängte den Gedanken an das, was sie unter dem See gefunden hatten.
Weiter.
Sie griff wahllos nach den Blättern, die sie auf den Schreibtisch gelegt hatte. Berichte über die ersten Tage der Studenten auf der Hütte wechselten sich ab mit Kritzeleien und diversen Song-Listen eines gewissen Frank. Die Papiere waren ungeordnet und enthielten offenbar auch Materialien und Informationen, die später hinzugefügt worden waren. Aber nichts wirklich Interessantes.
Okay, zurück zum Aktenordner.
Hier stieß sie auf eine Notiz, die ihr wichtig erschien und die sie deshalb aus dem Ordner nahm. Sie hatte die grazile, feine Schrift auf Anhieb erkannt. Die Zeilen stammten von Mi Su, die sich im College offenbar tatsächlich nur mit ihrem zweiten Namen Eliza genannt hatte. Der Stil war gewöhnungsbedürftig, abgehackt, doch in fehlerfreiem Englisch verfasst.
Katie überflog die Zeilen. Offenbar war Paul in der Hütte aufgetaucht, nachdem er eine Zeit lang verschwunden gewesen war. Derselbe Paul, den Katie fast vierzig Jahre später ermordet in einer Gletscherspalte gefunden hatte.
Ihr Blick glitt nach unten. Was hatte Paul denn nun gefunden, womit er ständig vor allen angab?
Die Notiz brach einfach ab. Aber in einer anderen Handschrift, die männlich aussah, war danebengekritzelt:
Psilocybe aurea
Extrem selten, gilt als sagenumwoben.
Erzeugt legendären Rausch.
Überdosierung tödlich.
Psilocybe aurea.
Katie hatte noch nie davon gehört. Waren das die Pilze, die sie auch bei Benjamin gefunden hatten? Wenn der unbekannte Kommentator recht hatte und sie wirklich extrem selten waren – war das vielleicht der Grund, warum die Ärzte Benjamins Vergiftung nicht auf die Spur kamen?
Überdosierung tödlich.
Sie kannte Benjamin. Er hatte es mit Sicherheit nicht bei ein oder zwei Pilzen belassen, zumal, wenn er sich den ultimativen Rausch davon versprochen hatte. Benjamin war einer, der höher, schneller, weiter wollte. Ohne Rücksicht auf Verluste.
Sie griff nach dem Handy. Sie musste sofort David im Krankenhaus
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