Die Prophezeiung der Steine
rossig sind.«
Und wirklich, der Hengst machte keine Anstalten, die Stute zu besteigen, sondern schlich nur wiehernd und schnuppernd um sie herum. Dann schüttelte er den Kopf und ließ seine helle Mähne flattern, und Bramble musste plötzlich daran denken, wie Leof sich das Haar aus den Augen schüttelte, wenn er sie anlächelte. Sie zwang sich dazu, ihre Aufmerksamkeit wieder der Gegenwart zuzuwenden. Die Stute war verzückt, obwohl sie diesen fremden Hengst doch von ihrem Fohlen hätte fernhalten müssen. Sie beobachteten, wie auch sie ihn nun beschnupperte, den unverkennbaren Geruch eines Hengstes witterte und dabei regelrecht
in Verzückung geriet. Bramble musste sich vor Lachen am Gatter festhalten. Gorham stand da, breitbeinig und mit verschränkten Armen, und strahlte, als wäre der Hengst sein eigener Sohn.
Der Hengst schaute die Stute von der Seite an, wieherte leise, und sie rieb ihren Kopf an seinem Nacken wie ein kokettes Mädchen. Die Zuschauer schrien vor Lachen. Das Geräusch beleidigte den Hengst, der daraufhin den Kopf hochwarf und sie drohend anstarrte. Das ließ sie noch mehr lachen.
»Wie er sie von der Seite anschaut!«, kicherte Gorham und wischte sich die Tränen aus den Augen.
»Er ist wie Acton«, sagte der Stallbursche und kicherte ebenfalls.
Der Legende zufolge hatten Frauen Acton unwiderstehlich gefunden. Es hieß, er habe eine Art gehabt, sie von der Seite anzuschauen, sodass sie in seinen Armen nur so dahinschmolzen. Bei seinem eigenen Stamm hieß es schon vor der Landnahme, eine Frau brauche ihre Untreue mit Acton nur dadurch zu entschuldigen, dass sie sagte: »Aber er hat mich doch so von der Seite angeschaut!« Und verheiratete Männer, die Acton in die Schlacht folgten, hofften, dass er jenseits der Berge neue Mädchen finden und sich ihnen zuwenden würde. Sein Nachfolger, Thegan, wurde von einer Frau geboren, die sich keine Zeit für Männer nahm, jedoch sagte, wenn sie es schon mit jemandem versuchen wollte, dann solle es auch gleich Acton sein.
»Wie Acton«, sagte Gorham nachdenklich. »Das ist er, und so nennen wir ihn auch. Er heißt Acton.«
Er und Bramble grinsten, zwei Wanderer, die einen Witz über den alten Feind ihres Volkes machten. Selbst der blonde Stallbursche lächelte. »Ja«, sagte er, »das ist genau der richtige Name für ihn.«
Dann bewegte sich der Hengst auf die Stelle am Gatter zu, an die sich Bramble lehnte. Ganz nah kam er nicht, sondern blieb ruhig vor ihr stehen.
Gorham trat auf ihn zu, doch nun warf der Hengst den Kopf zurück und wich zurück. Gorham hielt inne und überlegte. »Überrede du ihn, dass er mitkommt, Bramble«, sagte er.
Bramble sprach den Hengst leise an, zog ihn mit ihrer Stimme an sich wie einen Fisch an der Angel. »Also dann, Acton, komm, Acton, da wären wir, komm zu Bramble, komm, Junge.«
Die Worte selbst waren unwichtig, es ging einzig um den Tonfall. Gorham beobachtete, wie Acton sich Bramble vorsichtig wieder näherte, sich neben sie stellte und sie anschnaubte. Widerwillig ließ Gorham seine Pläne, das Pferd selbst zu unterrichten und zuzureiten, fallen.
»Sieht so aus, als sei er von dir eingenommen, Mädchen«, sagte er. »Am besten, du kümmerst dich um ihn.«
Sie war überrascht und erfreut, das sah er ihr an. Bramble erwartete nie viel für sich, obwohl ihre Würde ihr lieb und teuer war. Na ja, Würde nicht unbedingt, dachte er. Freiheit vielleicht. Nie war sie Verpflichtungen gegenüber jemandem eingegangen, nicht einmal für eine Portion Hafer für den Rotschimmel, ihren Wallach. Und wie hatte ein schmächtiges Mädchen wie sie eigentlich ein Schlachtross in die Hand bekommen?
Solcherlei Fragen stellte man auf der Wanderschaft nicht, und obwohl er mittlerweile sesshaft geworden war, hatte Gorham Besseres zu tun, als seine Nase in etwas hineinzustecken, das ihn nichts anging. Was ihn betraf, war Bramble ein Geschenk der Götter gewesen. Er betrachtete sich als den besten Zureiter auf dieser Seite der Berge, aber Bramble, das wusste er, würde ihn übertreffen oder könnte es zumindest,
wenn sie sich bloß dazu durchringen würde, ein Tier wirklich zu zähmen, statt einen Kompromiss zu schlie ßen, bei dem das Tier eher Partner als Diener war.
Gorham liebte Pferde, liebte sie so sehr, dass sein Blut in Wallung geriet, wenn er bei ihnen war, er liebte das Zureiten, Striegeln und, vor allem, das Reiten, als sei schon der bloße Geruch der Pferde sein Schlüssel zum Glück. Aber letzten Endes waren es
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