Die Prophezeiung der Steine
alles an Lebensmitteln zusammengetragen, was wir mitnehmen können. Du und deine Freunde, ihr könnt den Rest haben. Ash, würdest du bitte die Tasche aus dem Zimmer oben holen?«
Sie führte das Mädchen in die Küche, und er ging langsam die Treppe hinauf. Dabei dachte er darüber nach, was vorhin geschehen war. Er hatte mit Doronit gebrochen. Aber das, was sie von ihm erwartet hatte - der Zynismus, die Kontrolle und die Gewalt -, war mittlerweile ein Teil von ihm. Es würde vermutlich für immer ein Teil von ihm bleiben. Er war eine Schutzwache.
Während ein kleiner Teil in ihm um den Jungen trauerte, der nicht gewusst hatte, wie man jemandem die Kehle durchschnitt oder ihn mit einem Schal erdrosselte, fühlte sich der überwiegende Teil von ihm stärker. Immerhin besaß er Fertigkeiten, die wertvoll waren, wenn er sie für sich selbst nutzbar machte. Vielleicht konnte er Arbeit in einer anderen Stadt finden, wo Doronit keinen Einfluss mehr auf ihn nehmen konnte. Während er den großen Rucksack aus dem Schlafzimmer holte, wurde sein Schritt sicherer und sein Herzschlag fester. Er lächelte Martine an, als diese mit einer weiteren vollgepackten Tasche aus der Küche kam. Das Mädchen folgte ihr und trug dabei eine Kiste, die mit Gemüse, Mehltüten und anderem vollgestopft war.
»Danke, Ma’m, danke, Ma’m …«, sagte sie immer wieder.
»Sie wohnt auf der anderen Straßenseite«, sagte Martine zu ihm. »Sorgst du dafür, dass sie mit ihrer Beute dort ankommt?«
Und so ging er über die Straße, während der Regen so fest auf seine Haut prasselte, dass es schmerzte, und sorgte dafür, dass die anderen Kinder, die sich in den Türeingängen versteckt hielten, dem Mädchen nicht die Belohnung wegnahmen. Es war eine kleine Tür in einem nicht angestrichenen Haus, das viel ärmer wirkte als die Nachbarbauten.
»Danke, du, vielmals«, sagte sie und strahlte ihn vom Türeingang aus an. »Mögen die Götter dich segnen.«
Es war sein erster Segensspruch, seit er seine Eltern verlassen hatte, und seine Augen wurden weicher. Er hob die Hand, um sich von ihr zu verabschieden und kehrte ein wenig ruhiger zu Martine zurück.
Sie hatte die Taschen fertig gepackt und hielt einen Umhang gegen den Sturm für ihn bereit. Das geölte Segeltuch mit Kapuze würde den schlimmsten Regen abhalten. Er wuchtete sich das große Bündel auf den Rücken, knöpfte sich den Umhang zu und ging zur Tür.
»Du vergisst etwas.« Martine deutete mit dem Kopf auf den Kaminsims. Das Einzige, was darauf lag, war Actons Brosche.
Ash ging hinüber und nahm sie an sich. »Warum habe ich das Gefühl, dass alles deswegen hier passiert ist?«, fragte er und ließ die Brosche in seinen Beutel gleiten.
»Vielleicht ist es das ja auch. Aber Doronit wird anderer Meinung sein.« Sie grinsten einander an. »Gehen wir.«
Sie verließen das Haus im Schutze des Sturms über die Straße nach Norden und begegneten niemandem, den sie kannten.
Ash war glücklich, trotz des Sturms und des vor ihnen liegenden kälteren Wetters, und obwohl er jedes Mal, wenn er an Doronit dachte, die Zähne so zusammenbiss, dass sie ihm schmerzten. Er hatte keine Ahnung, wohin sie gingen, und es war ihm auch gleich. Er war erleichtert darüber, Doronit zu verlassen, auch wenn es ihm wegen Turvite leidtat.
Die Brosche lastete schwer an ihm, aber er weigerte sich, bloß ein Werkzeug zu sein, und sei es das der Götter. Er ging fort, weil er von einer berechnenden, selbstsüchtigen Frau betrogen worden war - darüber gab es Lieder. So etwas geschah Männern immer wieder. Betrogen von einer Frau, verstoßen in den Sturm hinaus … Er rezitierte The Lying Sweetheart in seinem Kopf, während sie sich durch den Schlamm kämpften. Endlich fühlte er sich erwachsen.
Saker
Auf dem Weg in die Berge, in dem kargen Land westlich des Sees, lag ein Dorf. Saker war schon häufig dort gewesen, wenn er seine Rundreisen durch das Land machte, um Karten zu zeichnen und alte Schriftrollen zu sammeln. Dort hatte es damals ein Massaker gegeben, aber nur ein kleines, es war ja bloß ein Dorf. Als er sich bei dem Gedanken »nur ein Dorf« ertappte, zuckte Saker zusammen. Jeder Tod war von Bedeutung. Jeder Einzelne musste gerächt werden.
Das Wichtige an diesem Dorf, an Spritford, war die Tatsache, dass die Eindringlinge die Leichen dort begraben hatten. Sie hatten damals begriffen, dass von verwesenden Leichen Gestank und Krankheiten ausgingen. Also hatten sie die Toten zusammengetragen und in
Weitere Kostenlose Bücher