Die Prophezeiung der Steine
sie eine noch lächerlichere Figur abgeben können, hüfthoch in eisigem Wasser stehend, wüst fluchend und - ja, worauf eigentlich? - wartend?
Wieder lachte sie, war erregt, als sei sie gerade bei einem Rennen gestartet und schösse über Hindernisse und Wasserläufe hinweg. Ihr Gelächter stieg auf und hallte über die Wasseroberfläche. Es gab keine feierlichen Worte, keine Anrufungen der Götter, die ihr jetzt helfen konnten. Alles, was sie zu bieten hatte, war die Wahrheit. »Oh, See, See, hier bin ich, gekommen, um dich um Hilfe zu bitten. Gekommen, um Hilfe zu leisten, wenn ich kann. Bitte schicke die Seebewohner zu mir, bevor ich erfriere.«
Erneut lachte sie. Ob es jemals ein noch weniger elegantes Gebet gegeben hatte? Doch um sie herum kam Wind auf, der Nebel lichtete sich, und erneut spürte sie in sich ein Gefühl der Freiheit und Freude aufkommen, so wie es gewesen war, wenn sie den Rotschimmel ritt. Es war nicht wie während der Gegenwart der einheimischen Götter, nicht durchdrungen von heiligem Schrecken, aber es hatte die gleiche Tiefe, als sei ihre Gefühlsregung größer als sie selbst - so wie ihre Wut auf Thegan nicht nur die ihre, sondern auch die der Götter gewesen war. Hier teilte sie nun ihre Gefühle mit dem See.
Sie war nicht überrascht, als sie das sanfte Glucksen von Wasser unter einem Boot hörte, den hohen, schwarzen Bug durch den Nebel gleiten sah und spürte, wie sich Hände unter ihre Schultern schoben und sie über die fest zusammengezurrten Schilfbündel hoben, aus denen die Seiten des Boots bestanden. Überrascht hingegen stellte sie fest, dass sich ihre drei Pferde bereits an Bord befanden, zu einer nervösen Gruppe in der Mitte des flachen Bootsbodens zusammengedrängt. Sie wandte sich den Männern zu, die sie an Bord gehoben hatten.
»Der See hat uns gesagt, wo wir suchen müssen«, sagte einer von ihnen, woraufhin allgemeines Gelächter aufkam. »Sie mag dich, dieser See.« Er fügte eine Bemerkung in seiner Sprache hinzu, und die gesamte Besatzung - sie waren zu acht - klopfte einander fröhlich auf die Schultern.
Bramble stimmte in das Gelächter mit ein. Sie lehnte mit dem Rücken gegen das feste, nach Teer riechende Schilf, während sich um sie herum nach und nach eine Wasserlache bildete.
Es waren große, hagere Männer, die allesamt seltsame, aus entzweigebrochenem Schilf gewebte Hüte trugen. Hüte im eigentlichen Sinne waren es gar nicht, sondern lediglich Krempen, die ihnen locker auf dem Haar saßen. Ihr Haar und ihre Augen waren so schwarz wie die ihren auch. Allerdings war ihre Haut dunkler, und Bramble dachte, dass früher einmal alle Wanderer eine solche Haut gehabt haben mussten, bevor sie sich mit Actons Volk vermischt hatten. Es war, als schaue man zurück in die Zeit vor der Landnahme. Aber dies hier waren wirkliche Menschen und keine hehren Reste aus einer fernen Vergangenheit. Einer hatte Aknenarben im ganzen Gesicht, einem anderen fehlten mehrere Zähne. Einer hatte die Art krumme Beine, die darauf hinwiesen, dass er als Kind Rachitis gehabt haben musste.
Er schaute Bramble auf die Art und Weise an, wie es die meisten Männer taten, zuerst auf die Figur und eine lange wirkende Sekunde später ins Gesicht.
Zielstrebig widmeten sich die Männer nun ihren Aufgaben, kümmerten sich freundlich um die Pferde, steuerten mit dem langen Stab, der sie durch das Wasser bewegte, oder beschäftigten sich mit den Netzen und Flusskrebstöpfen im Heck. Einer von ihnen, der Älteste, begann, sich mit ihr zu unterhalten.
Ganz so alt war er gar nicht, vielleicht fünfzig. Wie er so am Bug stand, wirkte er ernst und stolz; ihr Großvater hatte ihr von dem sagenhaften Stolz der Seebewohner erzählt. Seine Augen waren so dunkel, dass sie unergründlich wirkten, doch als er sich ihr lächelnd zuwandte, bildeten sich Lachfalten an seinen Augen und um seinen Mund.
»Sie hat uns gesagt, wir sollen herkommen und dich holen, aber warum, hat sie uns nicht gesagt«, sagte er im Plauderton, wobei ein leichter Akzent die Endungen seiner Worte weicher machte. »Ich bin Eel. Ich spreche deine Sprache, die anderen nicht.«
»Ich bin Bramble«, sagte sie.
Der See hatte diese Menschen wohl zu ihr geführt, weil sie ihnen vertraute. Bramble langte in ihre Jacke nach Sorns Botschaft und reichte sie Eel. Möglicherweise würde er sie ohnehin nicht lesen können.
Doch das konnte er und wölbte danach die Brauen. »Aha«, sagte er und rief den Steuermännern etwas in seiner Sprache
Weitere Kostenlose Bücher