Die Prophezeiung der Steine
hatte einen leicht glasigen Blick, wie ein erschrecktes Pferd, hatte sich jedoch durchaus im Griff. Sein dunkles Haar glänzte schwarz vor Schweiß, aber es war ein warmer Abend, sodass niemand Verdacht schöpfen würde. Sie sah, dass er tief Luft holte und ihn der Geruch des Essens hatte blass werden lassen. Es war Zeit, ihn wieder zur Besinnung zu bringen. Sie schlich um die Ecke der Gasse und näherte sich ihm von hinten, sodass es für ihn so aussah, als wäre sie aus dem Nichts gekommen.
»Gut«, sagte sie leise. »Fast perfekt, mein Schatz.«
Er hatte sich besser geschlagen, als sie es gedacht hatte. Es war immer schwer vorherzusagen, wie die Weichherzigen hinterher reagierten, selbst dann, wenn sie sie doppelt so hart ausgebildet hatte wie ihn. Seine Hand fing leicht an zu zittern, was stets ein erstes Anzeichen für Panik war. Es war Zeit, die Kontrolle zu übernehmen. Um einen jungen Mann von moralischen Bedenken abzulenken, gab es nichts anderes als Sex.
Sie lächelte ihn an und tätschelte ihm liebevoll die Wange. »Du hättest vor dem Platz deinen Schritt ein wenig verlangsamen und deinen Dolch wegstecken sollen. Aber das sind nur kleine Fehler.«
Ash starrte sie an. Sie war gekleidet wie eine wohlhabende Städterin, trug eine breite, marineblaue Hose, deren Beine in weichen, gelben Stiefeln steckten. Ihr dunkelblondes Haar war zu einem ordentlichen Zopf geflochten und ihr an der Schulter mit einer Brosche zusammengesteckter Schal mit Saphiren besetzt. Sie griffen die Farbe ihrer Augen auf, dachte er. Selbst sittsam gekleidet war sie so hübsch, dass Männer sie im Vorbeigehen anstarrten und
Frauen mit einer Mischung aus Neid und wehmütiger Anerkennung zur Seite schauten. Doronits Körper war wohl gerundet; von Kopf bis Fuß gab es bei ihr nicht eine einzige harte Kante. Auch das Mädchen in der Gasse hatte runde Hüften gehabt, war jedoch mager gewesen. Er spürte sein Zittern.
Doronit hakte sich bei ihm ein. »Was du brauchst, ist ein schöner heißer Tee. Komm.«
Ash bemühte sich, keine körperliche Reaktion auf ihre Berührung zu zeigen. Doronit hielt sein Zittern für eine Reaktion auf den Mord, und vielleicht war es das ja auch. Doch noch nie hatte er ein solches Verlangen nach ihr verspürt. Er konnte nicht fassen, dass er unmittelbar, nachdem er jemanden umgebracht hatte, so erregt war, sich so lebendig fühlte. Bedeutete dies, dass er krank war - im Grunde seines Herzens ein Mörder, der es genoss? Er zog sich den Umhang aus, als sei ihm heiß, und hielt ihn vor sich. Doronit lächelte ihn an, als wisse sie, warum er dies tat, und er errötete noch stärker. Bei ihr kam er sich stets wie ein nichts ahnender, unschuldiger Junge vor, der er schon seit seinem fünfzehnten Lebensjahr nicht mehr war. Jede Zuversicht, die er hatte, schwand bei Doronit dahin, und er war einzig und allein jemand, wie jetzt, der seinen Umhang vor sich hielt und sich vorkam wie ein Narr. An dieses Gefühl klammerte er sich wie ein Bollwerk gegen die Erinnerung an das Mädchen, das an der Wand hinabgeglitten war, gegen den Geruch ihres Blutes, den er nach wie vor in seinen Nasenlöchern wahrnahm.
Sie gingen zu einem Gasthaus an der Seite des Platzes, setzten sich auf eine Bank in der hintersten Ecke (»Setze dich immer so, dass du Rückendeckung hast« war eine seiner ersten Lektionen gewesen), und Doronit bestellte Tee und Honigkuchen. Vor dem Gasthaus spielte ein Flötenspieler
The Long Way Home . Schlecht. Es ging ihm zwar auf die Nerven, doch die Worte dröhnten wie von selbst in seinem Kopf. It’s a long, long way, and I’ll be dead before I get there …
Ash verdrängte den Text und blieb ruhig sitzen, wie Doronit es ihn gelehrt hatte. Er sog die Luft ein, tiefer noch, und stieß sie dann langsam wieder aus, um mit dem Ausatmen das Zittern loszuwerden.
»Gut gemacht«, sagte sie. »Bist du bereit, jetzt darüber zu sprechen?«
Ihre Stimme war sanft, wie immer, und wies ein leichtes Lispeln auf, einen Anflug eines Akzents.
Zitternd nickte er und büßte seine innere Gelassenheit zum Teil wieder ein. »Ich habe sie umgebracht.«
»Ja«, sinnierte Doronit. »Eine Schande, dass du dafür zwei Stöße benötigt hast. Der zur Schulter hat an der Stelle, wo sie gegen die Wand gestürzt ist, Blut hinterlassen. In dieser Situation spielt das keine Rolle, aber wenn du die Leiche hättest loswerden wollen, ohne dass jemand ihren Tod bemerkt, wäre dir das ungelegen gekommen.«
Ihre Worte waren wie ein eiskalter
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