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Die Prophezeiung der Steine

Die Prophezeiung der Steine

Titel: Die Prophezeiung der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Freeman
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davor.«
    Tatsächlich hatte ich Angst gehabt, und zwar gehörig. Ich
hatte Angst davor, das wachsende Vergnügen, mit Merris zu arbeiten, zu zerstören, die rhythmischen, parallel verlaufenden Bewegungen des Bündelns, Auslegens, Zurrens, Hakens, Knüpfens. Angst davor, Mitleid oder Abscheu in ihrem Blick zu erkennen.
    Daran hatte sich nichts geändert.
    Aber - dachte ich insgeheim und sagte es nicht einmal zu den Schilfrohren - sie wäre eine Frau mit zwei Kindern, um die man sich kümmern müsste. Vielleicht würde sie sich über einen Ehemann freuen, der ein gutes Handwerk beherrschte, jemand, der sie liebte und gut zu ihr und den Kindern war.
    Ich hörte auf, mich in Selbstzweifel zu verstricken. Zu glauben, dass ich mir den Kummer einer Frau zunutze machen würde, nur damit sie mit mir den Tisch teilte. Und das Bett. Ich verdrehte das Schilf so heftig, dass es mir in die Hand schnitt, doch der Gedanke blieb, die ganze Nacht lang, und er raubte mir erneut den Schlaf.
    Bei Tagesanbruch machte ich mich auf den Weg nach Connay. Falls Merris Witwe werden und Trost benötigen würde, dann nicht, weil ich nicht alles versucht hatte, Foegen zu warnen.
    Die Straße nach Connay verlief entlang eines braunen Wasserlaufs, an dessen Ufer Binsen und Schilf wuchsen, sodass mich während meines Wegs das vertraute Flüstern besänftigte. Ich pfiff sogar gegen die frische Luft des Herbstmorgens an und schlug mit meinem Eschenstock im Vorbeigehen Disteln den Kopf ab.
    Als ich Connay erreichte, war Essenszeit, und auf der Straße war es ruhig. Foegen und Merris lebten am anderen Ende der Stadt, wo man die Ochsen bis zur Schlachtzeit weiden lassen konnte, fernab von der Schlachterei in der Dorfstraße und deren Leichengeruch.

    »Ich gehe bloß eben mal in das Geschäft und rede kurz mit Foegen«, sagte ich zu den entlang des Flusses wachsenden Schilfrohren. »Dann kehre ich wieder um. Ich glaube nicht, dass ich bei diesem Besuch Merris zu sehen bekomme.« Als ich mir Merris’ Lächeln vorstellte, hörte ich auf zu pfeifen.
    Das Geschäft war geschlossen. Widerstrebend ging ich also zum Haus, an zehn oder mehr Häusern vorbei, die mit meinem Fischgrätenmuster und Merris’ ganz eigenem Flechtwerk gedeckt waren, und klopfte an der Tür.
    Es war Merris’ ältester Sohn Beals, der die Tür aufmachte, aber die anderen drängten sich im Nu um ihn: Merris, mit strahlender Miene, Broc, das Kleinkind, das meinen Stiefel packte und an meinem Eschenstock herumkaute, und Foegen, der sagte: »Udall, willkommen, sei willkommen! Wir sitzen gerade beim Essen, komm und iss mit uns!«
    Ich wollte Merris nicht beunruhigen, daher sagte ich nichts, sondern setzte mich lediglich mit Broc auf dem Schoß an den Tisch und aß so wenig wie möglich, ohne dadurch eine Bemerkung hervorzurufen. Mir krampfte sich der Magen zusammen, und in Anbetracht dessen, was ich im Begriff war zu tun, stieg panischer Schrecken in mir hoch. Doch inmitten des Stimmengewirrs und Beals Fragen - »Onkel, warum hast du immer einen Eschenstock? Warum nicht aus anderem Holz? Onkel, wie weit ist es bis Pank? Wieso heißt es Pank? Was bedeutet Connay?« - blieb mein Schweigen unbemerkt.
    Nach dem Essen ergriff ich die Gelegenheit, als Foegen sagte: »Komm mal mit, ich zeige dir die neuen Ochsen, die gestern gekommen sind. Ich habe sie erst einmal in der Scheune untergebracht, bis ich den Zaun am Fluss geflickt habe. Ich wollte sie mir sowieso anschauen.«
    Während Merris sanft zu Beals sagte: »Komm und hilf deiner Mama«, gingen wir beide allein hinaus.

    Der hinter dem Gemüsegarten gelegene Viehstall war ein hoch aufragender Holzbau mit, ausgerechnet, einem Schieferdach. Es war von dem letzten Schlachter gebaut worden, dessen Bruder Dachdecker gewesen war. Nach einer Unfallgefahr Ausschau haltend, sah ich voraus, eine Schieferplatte werde sich vom Dach lösen und Foegen den Kopf zerschmettern. Oder einer der Ochsen würde ihn aufspie ßen oder … Ich beschloss, ihn zu warnen, sobald wir drinnen waren.
    Foegen stolperte. Ohne darüber nachzudenken, streckte ich die Hand aus und half ihm, das Gleichgewicht zu bewahren.
    »Swith, der Mutige!«, sagte Foegen mit zitternder Stimme. »Sieh nur, wovor du mich bewahrt hast.«
    Auf dem Pfad vor ihm lag, vom schwer mit Samen beladenen Herbstgras halb verborgen, eine Sense, deren glänzende Klinge nach oben zeigte.
    »Wenn ich darauf gefallen wäre, hätte ich mir die Kehle durchschneiden können. Ich habe gestern hier gearbeitet, als

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