Die Prophezeiung der Steine
Plausch.
Wir wussten, was sie untereinander sagten, nämlich: »Diese Jungs sind nicht wie ihr Vater. Griff hat den ganzen Tag mit einem verbracht und über die beiden hier gesprochen, und jetzt haben sie keine Zeit mehr für einen übrig.«
Trotzdem waren wir gute Kesselflicker, Ber und ich, und deswegen verloren wir nicht allzu viel Kundschaft dadurch, und für diejenigen, die fragten, hielten wir eine plausible Erklärung bereit, was den Dämon betraf. Vielleicht bekamen wir sogar mehr Kundschaft - die Leute kamen, um sich den Besessenen anzuschauen.
Mama behielt uns jetzt genau im Auge und wollte, dass wir bei Einbruch der Dunkelheit zurück am Feuer waren; dabei kam der Dämon auch tagsüber, daher weiß ich nicht, warum das so wichtig war. Sie machte eine Menge Wirbel um Ber, obwohl sie uns für gewöhnlich beide gleich behandelte, manchmal scherzten wir sogar, sie könne uns nicht auseinanderhalten. Nun war es so, als sei ich der Ältere und trüge mehr Verantwortung. Und so fühlte ich mich auch, als habe er eine tödliche Krankheit und als müsse ich mich um ihn kümmern.
Dabei hatte er selbst sich gar nicht so sehr verändert, war höchstens ein wenig nervöser geworden, und manchmal
glaube ich, Mama und ich haben ihn so werden lassen. Er hatte ja keine Erinnerung daran, keine Erinnerung an das dunkel werdende Feuer und die kalt werdende Luft, an das sich aufstellende Nackenhaar und an die Gänsehaut … als das Ding ihn benutzte, seinen Mund, seine Zunge und seine Augen …
Er hat uns nie direkt ein Leid zugefügt. Wenn er sprach, dann sprach er lediglich Warnungen aus. Manchmal begriffen wir gar nicht, was er sagte, aber derjenige, den er ansprach, verstand es sehr wohl. Ich habe mitangesehen, wie erwachsene Männer durch ein einziges Wort aus seinem Mund erbleichten und aus dem Raum rannten. Es konnte ein Name sein, ein Ort, und einmal, in Ficton, sagte er bloß »zwölf Silberstücke«, und schon stürzte ein alter Mann mit weißem Haar und wässrigen Augen aus dem Gasthof, als sei die Todesfee hinter ihm her. Später erfuhren wir, dass die alte Dame ihn noch am gleichen Abend erwischte und er sich in seiner Scheune erhängte. Nach Ficton kehren wir seitdem nicht mehr zurück.
So ging es zwei Jahre lang weiter. Ich dachte darüber nach, wegzugehen, bloß einfach irgendwohin wegzulaufen, egal wohin, wo ich Ber nicht jede Sekunde im Auge behalten musste. Aber wie hätte ich ihn verlassen können? Oder Mama? Er war die Hälfte meines Lebens, und dann war da ja auch noch Mama. Also dachte ich: Wenn der Dämon das nächste Mal kommt, dann rede ich mit ihm, bitte ihn, uns in Ruhe zu lassen. Flehe ihn an. Handele mit ihm, wenn es sein muss.
Wir hatten nie den Mut aufgebracht, ihn direkt anzusprechen. Es war zu furchtbar, er benutzte ja Bers Stimme und klang immer so ruhig und vernünftig, selbst wenn er irgendeine arme Seele des Mordes beschuldigte oder Schlimmeres. Ich brachte es nicht fertig, ihn anzuschauen, wenn
er Schaum vor dem Mund hatte und diesen ausdruckslosen Blick. Mama verkümmerte allmählich, aß nicht mehr, lächelte nicht mehr. Im Winter würde sie krank werden, das wusste ich.
Also wartete ich den ganzen Sommer lang nervös ab. Wir zogen mit unserer Arbeit durch Pless und Carlion, durch das Long Valley nach Margarie, und dann, als die Blätter sich verfärbten, Richtung Norden nach Freewater. Während dieser Zeit erschien der Dämon nicht, und wir blieben für uns. Es war ein wunderschöner Sommer - heiße Tage und kühlere Nächte -, und erst, als der Herbst sich mit einem frischen Morgen ankündigte, registrierten wir eines Tages, dass Ros, unsere Stute, schon ihr Winterfell hatte.
Da wir nun den Wohnwagen hatten, brauchten wir nicht in einer Stadt zu überwintern, doch in diesem Jahr wollte ich es, weil Mama so schmächtig und zerbrechlich wirkte.
»Steh mir bei«, sagte ich zu Ber. »Andernfalls wird sie mit Sicherheit krank.«
Die Vorstellung war ihm unangenehm. »Freewater ist ein großer Ort. Jede Menge Menschen.« Er machte sich Sorgen darüber, dass der Dämon zurückkehren würde. Und ich bemerkte, dass es ihn mehr quälte, als ich gedacht hatte, zu spüren, dass er anders war als die anderen und dass es für andere gefährlich sein konnte, sich in seiner Nähe aufzuhalten.
»Es wird schon gutgehen, Zwilling«, sagte ich. »Du fügst niemandem ein Leid zu, das könntest du gar nicht.«
»Ich nicht, aber er schon.«
Ich umarmte ihn und verstand plötzlich, wie Papa zu
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