Die Prophezeiung des Adlers
ihm kein verächtlicher Kommentar herausrutschte. Dann schluckte er und erwiderte: »Das ist mein Rat, Herr. In Anbetracht unserer Befehle. Aber die Entscheidung liegt bei dir. Gemäß deinem Rang.«
»Verstehe.« Vitellius senkte den Blick und stand stumm und nachdenklich da. Die anderen Offiziere schwiegen ebenfalls und warteten auf seine Entscheidung.
Der Präfekt wusste, dass er in der Zwickmühle steckte. Er hatte ein Viertel seiner Flotte verloren und dazu noch einen guten Teil seiner Ausrüstung. Was als überwältigende Machtdemonstration mit dem Ziel begonnen hatte, der wachsenden Bedrohung durch die Piraten Herr zu werden, hatte sich in eine Beinahe-Katastrophe verwandelt, die drohte, die gesamte Region zu destabilisieren. Wenn er die Operation abblies, würde man das als eindeutige Niederlage werten, und der Kaiser war nicht für Duldsamkeit gegenüber besiegten Befehlshabern bekannt. Vitellius befürchtete, dass seine Karriere und vielleicht sogar sein Leben in Gefahr waren. Er blickte finster. Seine Laufbahn war sein ganzer Lebensinhalt. Ohne die Aussicht auf Macht und Reichtum konnte er ebenso gut tot sein. Es kam also nicht infrage, die Operation abzublasen. So viel war sicher. Der Feldzug musste weitergehen.
Die Frage war, ob er genug Männer und Material hatte, um einen Erfolg sicherzustellen. Er hatte eine Niederlage erlitten, aber wenn die Piraten gefunden und vernichtet und die Schriftrollen zurückerobert wurden, ließ sich der anfängliche Rückschlag in aller Stille übertünchen. Falls es Vitellius tatsächlich gelang, die Schuld an der Niederlage einem Verräter anzulasten, mochte er der Kritik vielleicht sogar ganz entgehen – nun ja, solange er nur letztlich siegreich blieb. Aber reichten seine Schiffe aus, um das zu erreichen? Er war sich nicht sicher. Albinus war eindeutig nicht dieser Meinung, und die Mienen, mit denen die anderen Trierarchen ihrem Kameraden zugehört hatten, ließen erkennen, dass auch sie zusätzliche Biremen für erforderlich hielten. Sie mussten sich wohl auf ihr Geschäft verstehen. Mit den Schiffen und Marineinfanteristen, die er in Ravenna zurückgelassen hatte, konnte er die Verluste, die er heute erlitten hatte, ungefähr ausgleichen. Aber dann wären der Hafen und der Marinestützpunkt tatsächlich ungeschützt. Er würde dafür sorgen müssen, dass die Piraten unter zu viel Druck standen, um einen Überfall auf Ravenna zu unternehmen. Falls das Undenkbare geschah, sie hindurchschlüpften und den Hafen plünderten, würde Kaiser Claudius keine Gnade mit ihm kennen.
Dann rief er sich in Erinnerung, was Cato gesagt hatte. Der hatte ihn energisch daran erinnert, dass vielleicht sogar noch Bedeutenderes auf dem Spiel stand: die Schriftrollen, die sie auf Narcissus’ Befehl um jeden Preis bergen mussten.
Um jeden Preis …
Dass Narcissus ihm den Befehl aber verdammt nochmal auch nicht schriftlich gegeben hatte! Dann hätte Vitellius sich wenigstens darauf berufen können, dass das schreckliche Risiko, alle seine Männer und Schiffe gegen die Piraten einzusetzen, diesem Befehl geschuldet war. Aber für so etwas war Narcissus wie üblich zu schlau gewesen. Sollte Vitellius ihn anklagen wollen, hätte er keinerlei Beweise gegen ihn in der Hand. Gleichzeitig würde es keine akzeptable Entschuldigung geben, falls es Vitellius nicht gelang, die Schriftrollen wiederzuerlangen.
Als er seine Optionen durchdachte, erkannte er schließlich eindeutig, welche Strategie die beste war, und er konzentrierte sich darauf, jedoch mit einem wachsenden Gefühl der Verzweiflung, da es ihm widerstrebte, sich durch Erteilen der erforderlichen Befehle endgültig festzulegen. Er blickte zu seinen Offizieren auf, und der Mut verließ ihn, als er sah, wie sie ihn beobachteten und darauf warteten, dass er das Wort ergriff und seinen Plan darlegte. Wenn er damit erst begann, gab es kein Zurück. Er räusperte sich, und die Offiziere sahen ihn aufmerksam an.
»WirmüssendieOperationfortsetzen.WennwirjetztnichtgegendiePiratenvorgehen,könnenwirnichtwissen,wiemächtigsievielleichtnochwerden.SiekönntenunserenHandelabwürgen,wennsiedaswollten.Dasdürfenwirnichtzulassen,meineHerren.IchhalteTrierarchAlbinus’Argumentfürrichtig,dasswirausreichendeKräftebrauchen,umdemFeindunterangemessenenBedingungenentgegenzutreten.ZudiesemZweckwerdeicheinenOffiziernachRavennazurückschicken,umunsereReservekräfteundzusätzlicheAusrüstungzuholen … «
Er blickte sich um, und sein Blick fiel auf Cato,
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