Die Prophezeiung von Umbria
vernünftigen Gegenargument, aber all sein Denken und Fühlen konzentrierte sich auf ihre Hand, die in der seinen lag. Ihre Haut war so weich, die Hand feingliedrig und doch so stark. Unwillkürlich streichelte er zärtlich ihre Fingerkuppen, glitt leicht mit dem Daumen über die warme Handfläche.
Maura antwortete wie von selbst auf seine Zärtlichkeit. Als sie ganz unschuldig seinen Mittelfinger liebkoste, unterdrückte Rath ein sehnsuchtsvolles Stöhnen. Er wusste, dass er diese Sehnsucht nie würde stillen können.
Schritte näherten sich und störten das innige Beisammensein. Am liebsten wäre Rath den Wächtern an die Kehle gegangen.
“Ich kann nicht länger bleiben”, flüsterte er und zog voll Bedauern die Hand zurück.
Er fühlte, wie Maura sich reckte und versuchte, bis zum letzten Augenblick seine Hand zu halten. “Versprecht mir, dass Ihr erwägt, was ich Euch gesagt habe?”
“Ja.”
Lautlos erhob sich Rath wieder und verschwand im strömenden Regen.
Er konnte nicht Mauras Wunsch erfüllen und gleichzeitig ihr zur Freiheit verhelfen … oder vielleicht doch? Nach dem, was gerade zwischen ihnen geschehen war, wünschte er es mehr denn je. Und nicht nur, weil er eine Schuld zu begleichen hatte.
12. KAPITEL
W ar es falsch gewesen, auf eine weniger gewaltsame Lösung ihres Problems zu drängen, wo doch so viel auf dem Spiel stand? Seit sie nach einem von Albträumen geplagten Schlaf aufgewacht war, bis zu dem Moment, wo Vang seine Wachen nach ihr schickte, hatte Maura unablässig über diese Frage nachgedacht. Jetzt wollte Vang, dass sie dem Zweikampf zuschauen sollte. Gerne hätte sie auf diese Ehre verzichtet.
Es konnte nur bedeuten, dass Rath keinen anderen Ausweg wusste – wenn er überhaupt versucht hatte, einen zu finden. Es hieß auch, dass es ihr nicht gelungen war, ihn davon zu überzeugen, dass er nicht in ihrer Schuld stand. Konnte es sein, dass ihre Hand ihm etwas ganz anderes erzählt hatte, während sie so unerschrocken versichert hatte, dass er frei von jeder Verpflichtung sei? Die ganze Nacht hatte sie die Hand an die Wange gepresst, weil sie glaubte, dass immer noch ein winziger Hauch von Raths Duft an ihr hing.
Und wenn sie mit sich dieser Hand durchs Haar fuhr, war es, als berühre Rath sie aus der Ferne.
“Ist es zu fest?”, fragte der Wächter, der ihr wieder einmal die Hände auf den Rücken band.
Maura schreckte aus ihren Gedanken auf. “Nein, danke.”
“Wenn es Euch beliebt, Mylady, dann lasst uns jetzt gehen.”
Die höfliche Anrede des Mannes brachte Maura in die Wirklichkeit zurück. Sie hatte keine Zeit, sich mit zärtlichen Träumereien abzugeben.
Wenn es stimmte, was Langbard gesagt hatte, dann hatte sie eine Aufgabe zu erfüllen. Für Rath Talward gab es keinen Platz in ihrem Leben. Und er wollte wohl auch keinen. Wenn es ihnen gelingen sollte, Vangs Fängen zu entkommen, was sie bezweifelte, wollte sie Rath klaren Wein einschenken.
Wenn sie sich nur über ihre Gefühle im Klaren wäre!
Der Wächter brachte sie in einen weiten Burghof. Irgendwann in der Nacht hatte der Regen aufgehört, doch der Boden war immer noch schlammig.
Vangs Männer standen in kleinen Gruppen entlang der Burgmauer zusammen und sprachen miteinander. Bei ihrem Erscheinen wurde es still, und alle Blicke folgten Maura, als sie zu einer kleinen Bank geführt wurde, welche an der Seite eines breiten, überwölbten Eingangs bereitstand.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Turgen sie anstierte. Wie ein wortloses Signal begann der Bluterguss auf ihrer Wange zu schmerzen. Eine bösartige Macht schien sie zwingen zu wollen, Turgen anzusehen, doch Maura widerstand ihr. Stattdessen straffte sie die Schultern, ging auf die Bank zu und setzte sich ruhig nieder. Kaum, dass sie saß, schritt Vang durch das Tor neben der Bank. Seine zur Schau gestellte Selbstsicherheit ließ Maura erschauern.
Als Rath wenige Augenblicke später unter demselben Torbogen erschien, durch den Maura den Burghof betreten hatte, beachtete er sie mit keinem Blick. Er sah nicht aus, als hätte der Schlaf, den sie ihm verschafft hatte, etwas genutzt.
War er etwa den Rest der Nacht herumgeirrt und hatte verzweifelt nach einem unblutigen Ausweg gesucht?
Hilflose Wut stieg in Maura auf. Hätte sie doch nur noch Langbards Schultergurt! Wären ihre Hände nur nicht gefesselt! Sie würde es Vang und seinen Kumpanen schon zeigen. Was immer jetzt geschehen würde, sie musste einen Weg finden, Rath und sich selbst zu
Weitere Kostenlose Bücher