Die Prophezeiung von Umbria
der Nähe. “Hol den alten Mann von der Straße und geh dann zum nächsten Dorf. Ich werde Euch dort treffen.”
Bevor sie antworten konnte, ritt er davon.
Was hatte er vor? Sie wünschte fast, sie hätte ihn nicht da hineingezogen.
In der Zwischenzeit fuhren die Soldaten fort, den alten Mann herumzustoßen. Der weinte jetzt ganz offen und flehte sie an, ihn gehen zu lassen. Doch seine Hilflosigkeit schien die Han nur noch bösartiger werden zu lassen.
Dann war da plötzlich ein lautes Scheppern. Einer der Han zuckte zusammen und schrie auf. Noch ein Scheppern. Noch ein Schrei. Immer mehr Soldaten vergaßen ihr Opfer, zogen die Schwerter und schauten sich um, woher der unverschämte Angriff kam.
Sie mussten nicht lange suchen.
Eine wohlbekannte Stimme schrie ihnen von einem Hang auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwas zu, begleitet von einem erneuten Steinhagel. Auch wenn Maura die Worte, die Rath in der Sprache der Han brüllte, nicht verstand, die wütende Reaktion der Soldaten sagte ihr, dass es schlimme Beleidigungen sein mussten.
Ihr Blick schweifte zu drei Bäumen, die in halber Höhe am Hang standen. Rath tauchte kurz hinter einem von ihnen auf und warf einen neuen Stein auf die Han. Eine weitere Beleidigung folgte.
Einer der Soldaten hob seinen Bogen und schoss. Rath duckte sich und der Pfeil zischte über ihn hinweg.
Der Han mit dem elegantesten Helmbusch bellte einen Befehl, und die ganze Truppe stürmte mit gezücktem Schwert den Hang hinauf.
“Möge der Allgeber dir beistehen”, murmelte Maura unwillkürlich, als sie sah, wie Rath, gefolgt von den Soldaten, den Hang hinunterfloh.
Sie zwang sich, an den alten Mann zu denken, der neben seinem Karren kauerte.
Also stahl sie sich aus ihrem Versteck und rannte zu ihm.
“Kommt, wir müssen Euch hier fortbringen, solange die Han anderswo beschäftigt sind.”
Er hob den Arm, um sein Gesicht zu verbergen. “Sie werden böse sein, wenn sie zurückkommen und mich nicht mehr vorfinden.”
Maura zeigte mit einer Geste ihren Respekt, doch dann nahm sie ihn entschlossen beim Arm. “Wenn sie zurückkommen, werden sie Euch sicher vergessen haben. Und Ihr werdet weit weg sein.”
Als er aus Furcht und Verwirrung immer noch zögerte, flehte sie ihn an. “Ein guter Mann hat viel riskiert, um Euch zu helfen. Lasst es nicht umsonst gewesen sein.”
Vielleicht überzeugte das den Alten, denn er stützte sich schwer auf sie, um sich aufhelfen zu lassen. Einmal auf den Füßen, zeigte er sich erstaunlich flink. Rasch kletterte er in seinen Karren und forderte Maura auf, ihm die Zügel zu geben. Dann bat er sie, auf dem Sitz neben ihm Platz zu nehmen. “Für eine junge Dame ist es hier auch nicht sicher. Ich werde Euch nach Folkin's Mills bringen, wenn es Euch recht ist.”
“Ich danke Euch, Altvater.”
Als Maura neben ihm saß, schlug er mit den Zügeln einmal kräftig auf das Hinterteil des Esels. Der protestierte zuerst mit einem lauten Schrei, trottete dann aber bereitwillig los.
Maura erinnerte sich an die Hundertblütenblumen in ihrer Tasche und warf eine Hand voll über den Karren, den alten Mann und den Esel.
Erstaunt starrte der Mann sie mit offenem Mund an. “Ist das Twara, was du da sprichst, Mädchen?”
“Ja. Ein Spruch, damit die Han uns nicht bemerken.” Sie erklärte ihm die Wirkung der Hundertblütenblumen und ließ ihn den Spruch so oft wiederholen, bis sie glaubte, dass er ihn gelernt hatte. “Von jetzt an werdet Ihr ihn immer aufsagen, wenn Ihr das Haus verlasst und mit den Han zusammentreffen könntet.”
Langsam schien sich der Alte von seinem Schrecken erholt zu haben. “Als ich ein Junge war, benutzte meine Mutter, der Allgeber schenke ihrem Geist Frieden, einige Sprüche, wenn die Hühner keine Eier legen wollten oder wir Kinder uns verletzt hatten. Heute sagen die Leute, das sei dumm oder böse, aber ich weiß es besser.”
Maura tätschelte ihm die Hand. “Ich hoffe, Ihr werdet Euch an die Sprüche Eurer Mutter erinnern und sie benutzen. Lehrt sie Euren Enkeln. Erzählt ihnen all die Geschichten, an die Ihr Euch erinnert. Alle Segen und Rituale. Die Han haben Umbria so vieler Dinge beraubt. Wir dürfen nicht zulassen, dass sie unseren größten Reichtum rauben.”
Mauras Stimme zitterte, als sie geendet hatte. Das waren nicht ihre eigenen Worte gewesen. Etwas oder jemand hatte durch sie gesprochen.
Der alte Mann starrte sie an. “Wer
bist
du, Mädchen?”
Die Worte schienen tief aus ihrem Innern zu
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