Die Prophezeiung von Umbria
in Tarsh an einem nebligen Tag. Wie die Landzunge dunkel aus dem Dunst herausragte. Das eigentümliche Kreischen der Möwen in der Dämmerung.
Das Dröhnen der Brandung, wenn sie winzige Kiesel aus den Felsen wusch und auf den Strand warf.
Für einen Moment schien Rath verblüfft zu sein. Es sah beinahe aus, als würden ihm ihre Worte Angst einjagen. Doch dann lachte er laut auf. “Ich glaube dir ja, dass Langbard dir das alles erzählt hat, aber wie soll ich wissen, dass das in den Stunden nach seinem Tod geschehen ist und nicht all die Jahre zuvor?”
Maura sprang auf. “Du weißt es, weil ich es dir gesagt habe. Wenn dir das nicht reicht, bei all dem, was wir gemeinsam durchgemacht haben, dann weiß ich wirklich nicht, warum du mich den ganzen Weg von Umbria bis hierher begleitet hast.”
Sie machte einen letzten Versuch. “In jener Nacht gabst du mir Zeit für das Ritual, obwohl es für uns hätte gefährlich werden können.”
“Wir alle machen hin und wieder verrückte Sachen.”
“Du sagtest, es wäre nicht wichtig, dass
du
glaubst, solange ich es nur täte.” Das war der Augenblick gewesen, in dem sie sich in ihn – in dem sie begonnen hatte, ihn in einem anderen Licht zu sehen.
Rath sah aus wie ein Mann, den man mit seinen eigenen Waffen geschlagen hatte. Er seufzte und fragte verdrossen: “Was hat es also mit diesem Ritual auf sich? Ich hoffe, ich muss nicht herumtanzen oder etwas ähnlich Dummes tun?”
“Es ist nicht schwer.” Maura setzte sich wieder neben ihn. “Du musst nur bei mir sitzen. Und du sagst einige Worte in Twara, das ist die alte umbrische Sprache, während du bestimmte Körperteile von mir mit Wasser benetzt. Das wird alle weltlichen Sorgen von mir nehmen und meine Gedanken, Worte und Taten für die Welt auf der anderen Seite reinigen.”
“Gut. Und dann?”
“Dann wirst du mich zu dir reden hören, und du wirst Dinge vor deinem inneren Auge sehen, die ich erlebt habe.” Maura fühlte eine große Ruhe bei dem Gedanken, ihre Erinnerungen mit Rath teilen zu können. Sie würden einander so nah sein, wie sie es im Leben nicht hatten sein dürfen.
“Und wir werden uns Lebewohl sagen …” Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.
“Das werden wir alles nicht tun müssen”, sagte Rath. “Denn dir wird nichts geschehen.”
“Aber …”
“Aber, nur um dich zu beruhigen, du kannst mich das Ritual lehren. Es wird uns vielleicht die Zeit vertreiben auf unserer Wanderschaft.”
“Ich danke dir, Rath!” Voll Freude wollte Maura ihn umarmen, doch sie hielt sich im letzten Moment zurück.
In dieser Nacht hatten sie sich schon zu oft berührt. Es würde ihr nur Appetit auf mehr machen.
19. KAPITEL
R ath hatte gehofft, dass Maura ihr Vorhaben aufgeben würde, wenn es erst einmal Tag wäre und keine Gefahr mehr aus der Dunkelheit jenseits des Feuerscheins drohte. Doch er hatte sich getäuscht.
“Du benetzt meine Stirn”, sagte Maura, atemlos vom Schleppen des schweren Packens. Sie gingen jetzt schon seit einigen Stunden und meistens bergauf. “Dann sagst du …”
“Sag nicht 'meine'“, knurrte Rath. Die Last auf seinem Rücken war nicht annähernd so schwer wie die auf seiner Seele.
“Wie bitte?”
“Sag nicht 'meine', so als würdest du erwarten, bald zu sterben.” Immer, wenn sie vom Ritual sprach, war ihm, als würde eine kalte Kraft sein Innerstes umschlingen wie eine Schlange ihre Beute. “Das bringt Unglück.”
“Unsinn.” Maura blieb auf ihren Stock gestützt stehen.
Sie sah nicht gerade sehr anziehend aus an diesem Morgen. Ihr Gesicht war von der Anstrengung und der Hitze gerötet. Und die dunklen Schatten unter den Augen zeugten von zu wenig Schlaf. Ihre Lippen waren von der Trockenheit rissig und mit dem Packen, den sie schleppte, sah sie aus, als hätte sie einen Buckel. Trotzdem war der Gedanke, ihr könnte irgendein Leid geschehen, unerträglich für Rath. Noch nie hatte er etwas Ähnliches für eine Frau empfunden, und er hasste es, dass dieses Gefühl ihn so verletzlich hatte werden lassen.
“Also gut. Der
Begleiter
netzt die Stirn des
Reisenden
und sagt: 'Wasch die Sorgen dieser Welt aus deinen Gedanken und lass sie reiner werden für ein besseres Leben in der nächsten Welt.' Nur sagt er das natürlich auf Twara.
Guldir quiri shin hon bith shin vethilu bithin anthi gridig aquisa bwitha muir ifnisive.”
“Wie soll ich denn dieses Kauderwelsch behalten, geschweige denn aussprechen, ohne mir einen Knoten in die Zunge zu
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