Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Schönlieb und stand auf. »Dann bin ich ab morgen also Student der Rechtswissenschaften.«
An eine Zusammenarbeit mit Wallner war den Rest des Tages nicht zu denken. Als Schönlieb sich bei der Kriminaltechnik erkundigte, wie die Untersuchungen an der Kleidung des Toten vorangingen, bekam er nur die schroffe Antwort, dass sich doch gerade vor zehn Minuten der andere – unfreundliche – Kollege danach erkundigt hatte und dass sie verdammt noch mal etwas Zeit brauchten. Es sei schließlich nicht der einzige Fall, den sie hier hätten, und sie seien außerdem gerade ziemlich unterbesetzt.
Als Schönlieb anschließend mit Wallner den Fall noch einmal durchsprechen wollte, um das weitere Vorgehen halbwegs zu koordinieren, war dieser verschwunden, und er tauchte auch nicht mehr auf. Schönlieb blieb alleine in ihrem gemeinsamen Büro, las sich noch einmal die bisherigen Unterlagen durch und klickte sich durch die Internetseite der Uni Hamburg und der Fakultät für Rechtswissenschaften. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo genau er mit seinen verdeckten Ermittlungen anfangen sollte. Schönlieb merkte, wie ihm warm wurde und er anfing zu schwitzen. Er war sich nicht sicher, ob das die Angst vor dem Versagen oder die Erkältung war, die er sich eingefangen hatte und die sich jetzt in Form einer Fieberattacke meldete. Da entdeckte er auf der Webseite der juristischen Fakultät einen Link zum VHJS, dem Verein Hamburger Jurastudenten. Er erinnerte sich an den Flyer, mit dessen Hilfe sie Huynh identifiziert hatten, und klickte auf den Link. Auf seiner Webseite warb der VHJS ebenfalls für sein wöchentlich stattfindendes Treffen. Vielleicht war das der richtige Ansatz, um mehr über Huynh herauszubekommen. Als er las, dass sich der VHJS jeden Montag im Rechtsgebäude der Hamburger Uni traf, konnte er sein Glück kaum fassen. Jetzt wusste er, wo er morgen seine Ermittlungen beginnen würde. Schnell klickte er sich weiter durch die Seite und schaute sich die Gesichter der Vorstandsmitglieder an. Er versuchte sich Namen und Gesichter möglichst gut einzuprägen. Während er das Gruppenbild betrachtete, auf dem die vier Vorstandsmitglieder in die Kamera lächelten, fragte er sich, ob die vier wohl befreundet waren und ob sie bereits wussten, dass Huynh tot ist. In der Zeitung hatte es zwar einen Artikel gegeben, doch darin war nur von »einem toten Studenten« die Rede gewesen. »Die Polizei konnte bisher weder die Identität des Toten noch die genauen Umstände des Todes klären.« Das war zu dem Zeitpunkt nicht gelogen gewesen. Mittlerweile wussten sie immerhin, wer der Tote war. Huynh Nguyen, der Schönlieb vom Bildschirm aus entgegenlächelte. Das Internet vergisst niemanden. Hier lächelte er noch in die Kamera. Hier war er noch nicht tot. Hier bekam er noch immer E-Mails, und Leute konnten ihm auf Facebook weiterhin Freundesanfragen stellen. Ob sich seine Freunde vom VHJS schon wunderten, dass sich sein Status seit Freitag nicht verändert hatte? Schönlieb hielt inne. Warum war er da nicht viel früher draufgekommen? Schnell tippte er in die Browserleiste »Facebook.de« ein und loggte sich ein. Wieso hatte er nicht gleich an Facebook gedacht? Das Gute heutzutage war ja, dass viele Leute freiwillig eine ganze Menge von sich preisgaben. Es gab keinen einfacheren Weg herauszufinden, mit wem Huynh in der Uni regelmäßig Kontakt hatte. So konnte er sich vorher ein Bild machen, an wen er sich in der Uni halten musste. Schönlieb wollte gerade in das Suchfeld »Huynh Nguyen« eintippen, als ihm eine kleine rote Benachrichtigung in der oberen Menüleiste auffiel. Er klickte drauf. »Christian Spitz will mit dir befreundet sein.« Jetzt auf einmal. Schönlieb schnaubte verächtlich und tippte in das Facebook-Suchfeld »Huynh Nguyen« ein.
Es gab mehr als ein Mitglied bei Facebook, das so hieß, doch anhand der kleinen Bilder neben den Namen hatte er schnell den richtigen Huynh gefunden. Er klickte auf den Namen, und die Profilseite von Huynh, dem Toten, erschien. Ein großes Bild, das sich fast über den ganzen Bildschirm erstreckte, zeigte Huynh zusammen mit einer jungen Frau – die gleiche junge Frau, die auch auf dem Bild zu sehen war, das er unter Huynhs Kopfkissen gefunden hatte, vermutlich seine Freundin. Beide lächelten in die Kamera, hinter ihnen waren die Elbe und der Hamburger Hafen zu erkennen. Es musste gegenüber von den Landungsbrücken auf der anderen Seite der Elbe aufgenommen worden sein. Schönliebs
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