Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
ihn wohl deutlicher darauf hinweisen sollen, dass er seit Freitag einen neuen Fall hatte. Einen Mord. Und wenn an einem Freitag ein Mord passierte, dann hieß das, am Sonntag zu arbeiten und in Wallners unzufriedenes Gesicht zu blicken.
Schönlieb machte es nichts aus, an einem Sonntag zu arbeiten. Wenn nicht gerade der FC St.Pauli spielte, wusste er mit seiner Freizeit ohnehin oft nicht allzu viel anzufangen. Es kam des Öfteren vor, dass er seine Wohnung an Sonntagen nicht verließ, nicht bewusst, sondern weil es keinen Anlass dafür gab. Dann las er den ganzen Tag in einem Buch oder schaute fern. Er zappte sich durch die Programme, bis er eine Sendung gefunden hatte, die sich um Fußball drehte. »Doppelpass« auf Sport1, die schönsten Spiele der Weltmeisterschaft 1994, Junioren-Europameisterschaft oder Freundschaftsspiele von irgendwelchen Traditionsmannschaften. Er hatte schon alles gesehen. Wenn mal kein Fußball lief, ließ er sich gerne von dem anspruchslosen Mittagsprogramm der privaten Sender, bei dem man beruhigt seine Aufmerksamkeit auf ein Minimum reduzieren konnte, in seinen sonntäglichen Mittagsschlaf leiten. Es war schon vorgekommen, dass er an einem Sonntag erst am schwindenden Tageslicht und der Titelmelodie der »Simpsons« merkte, dass der Tag bereits vorbei war. Oft fiel ihm dann auf, dass er den ganzen Tag über nichts gegessen hatte. Sonntage waren für Schönlieb separate Zeitzonen in einer eigenen Welt. Angenehm, aber auch etwas unheimlich.
Für Wallner hingegen schien der Sonntag ein Tag zu sein, an dem man auf keinen Fall arbeiten sollte. Das zumindest war momentan in seinem Gesicht zu lesen. Andererseits guckte er ja immer so mürrisch. So auch an diesem Sonntag, als sie zusammen mit Holding in dessen Büro saßen und das weitere Vorgehen besprachen.
»Das ist nicht dein Ernst, oder?«, schnauzte Wallner Schönlieb an. »Wie bekloppt bist du eigentlich?« Schönlieb ignorierte ihn.
Holding sah etwas müde aus und blickte nachdenklich auf einen Zettel, der auf seinem Schreibtisch lag. Vielleicht , dachte Schönlieb, ist es eine alte Einkaufsliste, die ihm seine Frau irgendwann einmal mitgegeben hatte . Mit dem Fall schien der Zettel jedenfalls nichts zu tun zu haben, denn Holding schwieg und schien abwesend.
»Hältst du dich für einen Fernsehcop im Undercover-Einsatz?«, schimpfte Wallner. »Hast wohl ein bisschen zu viele amerikanische Serien geguckt. Das ist doch … abenteuerlich … absurd und vor allem absolut uneffektiv.«
Ganz unrecht hatte er nicht. Wallner war also schon mal gegen seine Idee. Das hatte er eben unmissverständlich kundgetan, aber der hatte nichts zu sagen. Holding hatte das letzte Wort. Er war der Chef.
Holding blickte auf. Wallner und Schönlieb sahen ihn gespannt an.
»Okay. Schönlieb, ich gebe dir ein paar Tage. Mit dem Begriff des Polizisten im Undercover-Einsatz tue ich mich allerdings auch schwer. Ich sehe das Ganze mehr so, dass du dich ein bisschen an der Uni umhörst und dabei zufällig vergisst zu erwähnen, dass du von der Polizei bist. Verstehst du, was ich meine? Sobald du eine echte Spur hast, gibst du dich zu erkennen. Ja?« Holding schaute Schönlieb eindringlich an.
Schönlieb nickte. Nichts Offizielles. Holding wollte nicht den Kopf dafür hinhalten. Das hatte er verstanden.
»Harald, du ermittelst ganz normal weiter«, wandte sich Holding an Wallner. »So nähern wir uns dem Fall von zwei Seiten. Der Ritalinhandel ist im Moment die einzige Spur, die wir haben. Wir sollten unsere Priorität darauf setzen und alles versuchen, in diese Richtung weitere Aufklärungsarbeit zu leisten.«
Wallner schnaubte. Dann stand er auf und stampfte aus dem Zimmer. Hinter sich knallte er die Tür zu. Man hörte ihn noch ein wenig auf dem Gang meckern. Schönlieb verstand nur das Wort »Kindergarten« . Holding schüttelte den Kopf. Schönlieb fragte sich, ob Holding langsam begriff, dass die Idee, ihn und Wallner zusammenarbeiten zu lassen, nicht die beste gewesen ist.
»Wenn du nichts herausbekommst, wird Wallner uns das ewig vorwerfen«, sagte Holding und zeigte den Ansatz eines Grinsens.
»Schon klar.« Vielleicht machte es Holding sogar Spaß, Wallner zu ärgern , dachte Schönlieb.
»Andererseits wird er es uns auch so ewig vorwerfen«, fuhr Holding fort und grinste jetzt unverkennbar. Schönlieb hatte das erste Mal das Gefühl, in Holding vielleicht so eine Art Verbündeten im LKA zu haben. Es erleichterte ihn.
»Ich weiß«, sagte
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