Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)

Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristian Schlüter
Vom Netzwerk:
letzte Moment gewesen war, der letzte Moment mit seinem Vater. Doch sosehr er sich angestrengt hatte, er fand ihn nicht in seinen Erinnerungen. Es musste diesen Moment gegeben haben. Doch er war weg. Verschluckt in den Tiefen diffuser Erinnerungen und Bilder.
    Das laute Schnäuzen von Marie brachte seine Gedanken zurück. Sie knüllte das Taschentuch zusammen und steckte es in die Hosentasche. Schönlieb ekelte sich, doch das verbarg er.
    »Können Sie mir ein bisschen von Huynh erzählen?«, fragte er. »Ich weiß noch so wenig von ihm.«
    Und das war nicht gut. Tote sprechen nicht mehr. Das war wohl der Aspekt, der seine Arbeit am schwierigsten machte. Man musste sich bemühen, den Toten kennenzulernen, ihn von einem Fremden zu einem Vertrauten werden zu lassen, sein Wesen, seine Handlungen zu verstehen und lesen zu lernen. Schönlieb hatte oft genug die Erfahrung gemacht, dass die Lösung eines Falles die ganze Zeit vor ihnen gelegen hatte, tot.
    Marie richtete sich wieder etwas auf. Diesmal ging sie an das große Fenster. Zum ersten Mal stand sie auf, ihre Haare hingen ihr bis über die Hüfte.
    Schönlieb betrachtete ihren wohlgeformten Hintern und schämte sich dann sogleich dafür. In einer solchen Situation!, dachte er und warf sich in Gedanken selbst einen vorwurfsvollen Blick zu.
    Marie fing an, von Huynh zu erzählen. Sie hatten sich auf einer Erstsemesterparty kennengelernt. Ihr war schon klar gewesen, dass die älteren Studenten nur dahin kamen, um Erstsemester abzuschleppen und flachzulegen, und hatte sich vorher gesagt, dass sie alle Anbaggerversuche abblocken würde, aber Huynh war anders gewesen. So charmant, überhaupt nicht aufreißerisch, aber auch nicht so verweichlicht. Er war wie aus so einem alten Film. Sie hatten sich den ganzen Abend unterhalten und waren sich nicht mehr von der Seite gewichen. Am Ende hatte er ihr ein Taxi gerufen, dem Taxifahrer fünfzig Euro in die Hand gedrückt und ihm gesagt, er solle Marie sicher nach Hause bringen.
    »Da hatte er mich«, sagte Marie und wandte ihren Blick wieder zu Schönlieb.
    Schönlieb dachte daran, dass er das auch mal ausprobieren musste. Frauen schienen doch einfacher gestrickt zu sein, als er dachte.
    »Wir haben uns danach oft getroffen und waren kurze Zeit später ein Paar. Es war wunderschön und die beste Zeit meines Lebens!« Ihre Augen glänzten.
    Sie hatten sich so gut wie nie gestritten. Nur mit ihrem Vater hatte sie sich oft gestritten, wegen Huynh. Als sie ihn das erste Mal mitgebracht hatte, wäre ihr Vater fast nach hinten umgefallen.
    »Nur weil er ein Vietnamese ist … war«, sagte sie.
    Sie hatte ihn daraufhin nicht mehr oft zu sich mitgenommen. Natürlich hatte auch Huynh gemerkt, dass er im Hause von Hohenzollern nicht sehr willkommen war.
    »Er hat sich hier immer unwohl gefühlt. Das habe ich ihm angemerkt.
    Zu Huynh nach Hause konnten wir aber auch nicht, das heißt, er wollte nicht, dass ich mit zu ihm komme. Erst hatte er immer Ausreden, warum wir gerade nicht zu ihm konnten. Irgendwann, als es auffällig wurde, habe ich ihn zur Rede gestellt. Wir haben uns ziemlich gestritten, zum ersten Mal. Dann hat er irgendwann gesagt, dass er sich für sein Zuhause schämt. Es sei nicht angemessen und nicht schön genug für mich. Er hat nicht mit sich reden lassen, ich durfte nicht zu ihm nach Hause. Es gab keinen richtigen Ort, an den wir uns zurückziehen konnten. Unser Lieblingsort war der Platz neben dem Musicalzelt von König der Löwen, auf der anderen Seite des Hafens, kennen Sie den?«
    Schönlieb nickte.
    »Wenn man abends dort sitzt, dann hat man seine Ruhe. Im Sommer waren wir oft dort und haben uns zurückgezogen, abgeschottet vom Rest der Welt. Huynh sagte immer, dass er uns eines Tages ein großes Haus kaufen würde. Mit viel zu viel Platz und einem riesigen Garten. Dafür hat er gekämpft, wissen Sie?« Marie schaute zu Schönlieb. »Dafür, dass aus ihm etwas wird, dass er etwas erreicht und viel Geld für uns und seine Familie verdient, dafür hat er alles geopfert. Er war abends länger als alle anderen in der Uni, hat härter und mehr gelernt als alle anderen, weil er ein Ziel hatte. Er wollte raus aus seinem Leben.« Marie weinte wieder. »Und jetzt ist er tot. Das kann ich nicht begreifen.«
    »Ein kleines bisschen wie bei Romeo und Julia«, murmelte Schönlieb halb in Gedanken.
    »Was?«
    »Ach, nichts …« Schönlieb dachte daran, dass am Ende von Romeo und Julia beide tot waren und dass dieser Vergleich

Weitere Kostenlose Bücher