Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
dein Freund.«
»Mein Freund«, wiederholte Johann, und es klang leer und emotionslos. Er sah jetzt aus wie ein Häufchen Elend. Schönlieb konnte nicht erkennen, ob Johann endlich begriffen hatte, dass sein Freund tot war, oder ob er einfach nur traurig war, seine Ritalinquelle und damit auch den lukrativen Handel verloren zu haben. Wahrscheinlich war es beides.
Schönlieb wiederholte seine Frage.
»Ich habe eine Vermutung«, sagte Johann zögerlich. »Er meinte mal etwas von Connections im Krankenhaus oder so was. Das war ganz am Anfang. Später, als er gemerkt hat, wie gut das Geschäft läuft, hat er nie wieder darüber gesprochen.«
Sie schwiegen eine Weile. Jeder hing seinen Gedanken nach. Schönlieb dachte darüber nach, wie sie den Lieferanten ausfindig machen konnten. Noch hatte er keine Idee. Sie würden noch mal die Eltern und Marie befragen müssen, vielleicht die Verwandten von Huynh überprüfen, irgendwo musste es eine Verbindung zu einem Krankenhaus oder einem medizinischen Betrieb geben.
»Da war auch mal dieser Medizinstudent.« Johann blickte überrascht auf. Es schien, als hätte er sich zum ersten Mal Gedanken darüber gemacht, was es mit der Krankenhaus-Connection auf sich haben könnte. »Wie hieß der noch, mit dem haben wir mal gefeiert. Ein alter Schulfreund von Huynh.«
Schönlieb konnte kaum glauben, dass Johann ihnen gerade ernsthaft versuchte ihre Quelle preiszugeben. Er hätte in einer solchen Situation sicherlich intelligenter gehandelt, anderseits würde Johann wohl kaum weiter mit Neuro-Enhancern handeln, jetzt wo ihm die Polizei einmal auf die Füße getreten war.
»Ich glaube, er hieß Max.« Johann blickte Schönlieb zufrieden an.
An mehr konnte er sich aber nicht erinnern. Sosehr er sich die nächsten zehn Minuten noch anstrengte. Sie würden diesen Max schon finden. Irgendwann sahen sie ein, dass sie von Johann nichts mehr erfahren würden, was ihnen nützte. Sie standen auf und verabschiedeten sich. Als Johann sie zur Tür brachte, wirkte sein Gesicht erschreckend leblos. Schönlieb musste wieder an den leeren Ausdruck von Benjamin in Professor Meiningers Büro denken.
»Kennst du eigentlich Benjamin etwas näher? Den Streber, den du mir in der Vorlesung gezeigt hast.«
Johann schaute Schönlieb an. Sein Gesicht verzog sich zu einer verächtlichen Grimasse.
»Ne, nicht näher. Jeder in unserm Semester kennt ihn, aber keiner hat so richtig etwas mit ihm zu tun, weil er ein verdammter Arschkriecher ist, der sich in jeder Vorlesung ganz nach vorne setzt und den Arm mehr oben hat als unten …«
»Ein Streber also?«, fragte Wallner, dem Benjamin bisher kein Begriff war.
Johann nickte. Dass er über seinen Kommilitonen ein wenig herziehen konnte, verlieh seinem Gesicht wieder ein bisschen Farbe und Lebhaftigkeit.
»Ja, und zwar einer der Sorte, den keiner ausstehen kann. Weiß immer alles besser und petzt auch noch. Man muss richtig aufpassen, wenn man in der Bibliothek mal seine Hausarbeiten vergleicht und der das mitbekommt. Der läuft doch dann gleich zum Meininger.« Der Tonfall, wie Johann den Namen »Meininger« aussprach, ohne jeglichen Respekt, ließ Schönlieb aufhorchen.
»Wie ist deine Meinung zu Professor Meininger?«
»Wieso willst du das wissen? Was hat das alles mit Huynh zu tun?«
»Wahrscheinlich nichts. Aber es interessiert mich trotzdem. Keine Angst, deine Meinung zu Professor Meininger bleibt unter uns.«
»Pah, du kannst ihm ruhig sagen, was ich von ihm halte. Wie die meisten Professoren kennt er keinen von uns mit Namen. Wir sind so viele, da kann man nur wenige zuordnen. Meininger ist kompetent, aber er hat kein Interesse daran, den Studenten etwas beizubringen. Er zieht sein Ding durch und interessiert sich einen Scheiß dafür, ob es jemand versteht. Macht aber immer einen auf nett und besten Kumpel. Vor allem bei hübschen Studentinnen. Widerlich.«
»Widerlich?«
»Ach, nichts«, winkte Johann ab. Er wollte wohl, dass die Polizisten endlich verschwanden. »Ich finde es halt widerlich, wenn so ein alter Typ einen auf Kumpel und jugendlich macht. Alles nur Scheißfassade.«
Schönlieb hätte nicht gedacht, so etwas aus dem Mund von Johann zu hören. War er nicht selbst ziemlich viel blank geputzte Fassade?
»Vor allem bei hübschen Studentinnen?«
»Ja, er giert ständig nach den Studentinnen.«
»Er giert?«
»Na ja, macht Anspielungen und so.«
»Anspielungen?«
»Ja, was weiß ich, halt Anspielungen. Man kann sich schon
Weitere Kostenlose Bücher