Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
ins Auto stieg, fiel ihm sofort auf, wie sehr Wallner nach Alkohol roch. Mehr als üblich. Schönlieb konnte nicht glauben, dass Wallner ernsthaft mit einer Fahne auftauchte. Der Kerl fährt besoffen Auto! Dass sie gerade im Dienst waren, verschlimmerte die Sache noch. Schönlieb hatte nie etwas zu Wallners offensichtlichem Alkoholproblem gesagt und sich selbst meistens damit beruhigt, dass es vielleicht auch nur sein scharfes Rasierwasser war, das so penetrant nach Alkohol roch. In Wallners Alter benutzte man doch so ein stinkendes Rasierwasser, oder nicht? Schönliebs Opa benutzte auch so eines. Die anderen sagten doch auch nie etwas. Aber jetzt fuhr er sie zu einem dienstlichen Einsatz, und Wallner hatte sich sicherlich nicht eine halbe Flasche Rasierwasser in den Rachen geschüttet und die andere Hälfte über den Kopf.
»Mensch Wallner, bist du besoffen!?«, fragte er Wallner direkt.
»Besoffen, ich?« Wallner schaute Schönlieb entgeistert an. »Du spinnst doch, Schönlieb.«
Schönlieb musterte Wallner. Er hatte glasige Augen, ansonsten sah er wie immer müde aus und machte keinen besonders betrunkenen Eindruck. Vielleicht war es besser, das Thema auf einen anderen Zeitpunkt zu verschieben.
»Diese Sekretärin klang sehr aufgebracht, wurde mir erzählt«, sagte Wallner und schien vergessen zu haben, dass Schönlieb ihn gerade auf seinen Alkoholkonsum angesprochen hatte. Sollte doch Birte Coskun den alten Wallner darauf ansprechen. Sie würde das ohnehin bestimmt besser machen. Schönlieb war für so etwas nicht der Richtige, und schon gar nicht bei Wallner.
»Na dann, los!«, sagte Schönlieb und krallte sich an den Griff über dem Fenster.
Sie kamen unbeschadet vor der Uni an. Schönlieb atmete tief durch. Wallner war gefahren wie der letzte Idiot. Zum Glück hatten sie ein Blaulicht auf dem Dach gehabt, was die anderen Verkehrsteilnehmer rechtzeitig gewarnt hatte auszuweichen. Noch einmal würde er nicht mit dem betrunkenen Wallner fahren.
Sie gingen ins Rechtshaus und nahmen den Fahrstuhl. Dort hielt Schönlieb die Luft an, anderenfalls wäre er im dritten Stock wohl selbst mit drei Promille angekommen. Wallner lehnte an der Fahrstuhlwand und wirkte seltsam abwesend.
Mit schnellen Schritten passierten sie den langen Gang zu Meiningers Büro. Die Sekretärin von Professor Meininger erwartete sie bereits an der Tür des Büros. Sie guckte nicht annähernd so grimmig wie die letzten Male.
»Kommissar Schönlieb! Gott sei Dank, dass Sie endlich da sind. Hier wurde eingebrochen! Ich habe Sie gleich angerufen, also in Ihrem Büro. Zum Glück hatte ich Ihre Visitenkarte. Alles verwüstet, und dann dieser …« Sie hörte gar nicht mehr auf zu reden.
»Ist ja gut«, fuhr ihr Schönlieb ins Wort.
»Wir gucken uns das mal an«, sagte Wallner und zeigte so etwas wie ein Lächeln. Der musste wirklich betrunken sein, wenn er sogar lächelte.
Sie schoben die aufgeregte Dame beiseite und traten ins Büro ein. Die große Flügeltür stand offen. Sie gingen hindurch und blickten in das Büro des Professors.
»Haben Sie Professor Meininger schon verständigt?«, fragte Schönlieb.
»Natürlich, also, versucht habe ich es zumindest. Er ist nicht erreichbar. Weder zu Hause noch auf seinem Mobiltelefon.«
»So schlimm sieht es hier doch gar nicht aus«, sagte Wallner, zog die Achseln hoch und drehte sich zu Schönlieb. »Die paar Bücher auf dem Boden.«
Schönlieb hätte Wallner vielleicht sogar zugestimmt, hätte er dieses Büro nicht bereits zweimal gesehen. Beide Male hatten alle Dinge bis ins kleinste Detail symmetrisch gelegen. Es hatte nichts gegeben, was nicht in die penible Ordnung des Professors gepasst hatte. Jetzt sah es hier völlig anders aus. Auf dem Schreibtisch lag alles wild durcheinander. Die Kugelschreiber schief, der Kalender quer über zwei Zetteln, die Tastatur nicht parallel zum Tischende, und dann die Bücher: Zwei Reihen des Bücherregals waren komplett aus dem Regal gerissen und auf dem Boden verteilt worden. Dort lagen die Bücher wild durcheinander, auf einem Haufen. Manche aufgeschlagen und mit zerknickten Seiten.
»Wurde das Schloss aufgebrochen?«, fragte Schönlieb.
»Nein«, sagte die Sekretärin aufgeregt. »Das ist ja das Merkwürdige. Der Professor war doch immer so ordentlich. Er hätte nie …«
»Und wer hat alles einen Schlüssel?«, unterbrach Schönlieb sie.
»Eigentlich nur ich, der Professor und der Hausmeister.«
»Und Sie haben das heute erst gesehen, gestern
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