Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Hände tief in den Taschen verborgen, schaute vor sich auf den Boden und ging mit schnellen Schritten auf Schönlieb zu. Schönliebs Herz hämmerte. Er verlangsamte sein Schritttempo und machte sich auf alles gefasst, doch der Mann ging, ohne hochzublicken, an ihm vorbei. Schönlieb schaute ihm noch kurz hinterher. Wenn er einen Ort bestimmen müsste, um sich heimlich zu treffen, hätte er einen anderen genommen, hier kamen immer mal wieder Passanten entlang. Man lief immer Gefahr, gestört ober beobachtet zu werden.
Da hörte Schönlieb einen Schrei. Es war ein schrecklicher Schrei, der ihn komplett zusammenfahren ließ. Ein Schrei wie von jemandem, der unglaubliche Schmerzen erlitt. Schönlieb lief los. Er rannte zwischen zwei Autos hindurch und dann zwischen den Reihen der parkenden Autos entlang in die Richtung, aus dem er den Schrei gehört hatte. Rechts von sich sah er Wallner auftauchen. Auch er lief in die Richtung, nur nicht ganz so schnell.
Am Ende des Parkplatzes sah er in einiger Entfernung einen Schatten über etwas gebeugt, das auf dem Boden lag. Schönlieb sah, wie der Schatten ausholte und auf den Haufen am Boden einschlug. Noch einmal ertönte ein Schrei, dann richtete sich der Schatten auf und lief weg. Schönlieb rannte, so schnell er konnte. Sein Herz und seine Schläfen pochten. Der Schatten verschwand hinter einem Auto, doch dem Haufen auf dem Boden kam er immer näher. Er erschrak, als er endlich erkannte, um was es sich dabei handelte: Es war Professor Meininger, der vor ihm am Boden lag, auf dem Rücken, seine Hände krampfhaft über der Brust verschränkt. Schönlieb lief, so schnell er konnte, zu ihm. Das Hemd des Professors hatte sich mit Blut vollgesogen, und die ursprüngliche Farbe war nicht mehr zu erkennen. Als er ihn erreichte, ließ er sich auf die Knie fallen und schaute Meininger ins Gesicht. Er war nicht mehr bei Bewusstsein.
»Meininger! Hören Sie mich? Meininger!«, schrie Schönlieb ihn an.
Er nahm Meiningers Hände von der Brust, doch er konnte keine Wunde sehen. Nur Blut. Immer mehr Blut. Er zog sein iPhone heraus. Dort, wo er drückte, hinterließ er blutige Abdrücke auf dem Display.
»Wir brauchen sofort einen Krankenwagen. Bei den St.-Pauli-Landungsbrücken. Der Parkplatz hinter dem alten Elbtunnel. Schnell!« Schönlieb liefen Tränen über die Wange. Er war nicht traurig, er weinte nicht aus Angst um Meininger, er hatte schon viele Tote gesehen, aber eine solche Situation, in der jemand vor ihm lag und das Blut aus ihm herausblubberte wie in einem schlechten Horrorfilm, das überforderte ihn. Wallner kam an.
»Ich bleibe hier, du verfolgst den anderen«, sagte er schwer atmend.
Schönlieb lief erneut los. Er war froh, Meininger und das Blut hinter sich zu lassen. Er hatte mehr das Gefühl wegzurennen, anstatt jemanden zu verfolgen, und er lief, so schnell er konnte. Er wusste nur noch nicht so recht, wohin er laufen sollte. Er lief nach rechts die Straße hoch. Woanders konnte man ohnehin nicht lang, auch der Täter nicht. Schönlieb erreichte die Hafenstraße, schnell blickte er nach rechts und links. Der Schatten könnte entweder in Richtung der U-Bahn-Station Landungsbrücken oder runter in Richtung Fischmarkt oder die Davidstreppe hinaufgelaufen sein. Schönlieb konnte ihn nicht entdecken. Er wusste nicht, wieso, doch er entschied sich für den Fischmarkt. Schnell lief er den breiten Gehweg zwischen kahlen, kleinen Bäumen entlang. Wenn der Schatten sich anders entschieden hatte, würde er ihn nicht mehr bekommen. Er musste einfach Glück haben.
Er rannte, so schnell er konnte, und hörte sich selbst schnaufen, der Schweiß rann ihm übers Gesicht, und er musste ihn mehrmals hektisch beim Laufen wegwischen. Links von ihm konnte er auf das Gelände schauen, an dem jeden Sonntag der Fischmarkt stattfand. Jetzt war alles leer und nur in ein fades Licht getaucht. Ein Wohnwagen stand einsam am Rand. Da entdeckte er in etwa zweihundert Meter Entfernung den Schatten, der sich hastig in Richtung Fischauktionshalle bewegte. Ha! Er musste ihn schnappen. Er hatte solches Glück gehabt, dass er in die richtige Richtung gelaufen war, da durfte er ihn jetzt nicht einfach entwischen lassen. Das würde er sich nicht verzeihen. Er versuchte schneller zu laufen, trotz seiner inzwischen brennenden Beinmuskeln, die ihm unmissverständlich zu verstehen gaben, dass sie nicht mehr konnten. Er lief unter einer Fußgängerbrücke hindurch, rechts senkte sich jetzt die Straße,
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