Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
auch Frau Meininger blickte kurz irritiert erst zu Coskun, dann zu Schönlieb und schließlich wieder zu Coskun. Dennoch fing sie an zu erzählen. Sie hatte Mühe, dabei die Tränen zurückzuhalten, schaffte es aber.
»Er hat immer sehr viel gearbeitet, war oft und lange in der Uni. Auch hier zu Hause saß er oft bis nachts an seinem Schreibtisch und hat gearbeitet. Sie müssen wissen, er kommt aus einer Familie, die über Generationen mit der Rechtswissenschaft verbunden war und in der es zum guten Ton gehört, viel und hart zu arbeiten. Die Arbeit ist ihm immer das Wichtigste gewesen.«
»Und sonst?«, hakte Schönlieb nach. »Können Sie uns sonst noch etwas über Ihren Mann erzählen?«
»Also, er liebte gute Weine, klassische Musik. Wir gehen regelmäßig ins Theater. Wir haben so ein Abo für das Schauspielhaus.« Sie schien noch nicht zu realisieren, dass sie ab jetzt alleine gehen musste. Schönlieb hatte das schon oft erlebt. Das Unfassbare, das kann man nicht einfach und schnell akzeptieren. Oft brachen die Angehörigen erst Tage oder Wochen später zusammen. »Er war auch sehr engagiert, hier in der Nachbarschaft. Wenn einer eine Frage hatte, dann konnte er immer kommen. Und die Leute haben viele Rechtsfragen, das können Sie mir glauben.« Sie lächelte. Es sah sehr gezwungen aus.
»Hatte Ihr Mann eine Affäre?«, fragte Coskun und blickte Frau Meininger direkt an.
Frau Meininger riss ihren Mund weit auf, ohne dass ein Ton herauskam. Sie atmete zweimal tief ein und aus.
»Nein«, sagte sie schließlich, und es klang sehr empört.
Coskun holte das Foto aus der Innentasche ihrer Jacke und schob es Frau Meininger über den Tisch. Schönlieb hätte das Foto nicht gezeigt. Es reichte doch aus, es zu erwähnen. Das war schmerzhaft genug. Frau Meininger tat ihm leid. Sie blickte auf das Foto, fing an zu weinen und stand auf.
»Das kann doch nicht sein!«, rief sie in das Haus hinein. Es schien, als hätte sie Coskun und Schönlieb völlig vergessen. Wild ging sie durch das Haus. Schönlieb und Coskun blieben sitzen, konnten jedoch sehr genau hören, wo im Haus sich Frau Meininger gerade aufhielt. Sie weinte und schrie, mal abwechselnd, mal gleichzeitig.
Schönlieb fand es erstaunlich, dass sie das Wissen über die Affäre weit mehr aus der Fassung brachte als der Tod ihres Mannes. Vielleicht war das aber auch einfach etwas, was sie besser begreifen konnte.
»Ich glaube, wir sollten ihr hinterhergehen«, sagte Coskun und stand auf.
Sie folgten Frau Meininger nach oben, wo offensichtlich das Schlafzimmer der beiden lag. Schönlieb und Coskun standen in der Tür und blickten auf Frau Meininger, die wild Klamotten aus dem Kleiderschrank riss und in einen kleinen schwarzen Reisekoffer drückte. Der Koffer quoll bereits über.
»Was machen Sie da?«, fragte Coskun.
»Der kann seine Sachen hier abholen und verschwinden!«, schrie Frau Meininger. Sie war schwer zu verstehen. Rotz lief ihr von der Nase hinunter und verklebte den Mund.
Schönlieb und Coskun sahen sich kurz an. Schönlieb hoffte, sie würde den ersten Schritt machen, was sie auch tat. Sie ging auf Frau Meininger zu und schloss sie fest in den Arm.
»Er ist tot, Frau Meininger, er kommt nicht wieder«, sagte Coskun dabei leise.
Frau Meininger versuchte zunächst, sich zu wehren, gab jedoch schnell auf und brach dann an der Schulter von Coskun zusammen.
Es dauerte eine Dreiviertelstunde, bis der Krankenwagen kam. An weitere Fragen war in der Wartezeit jedoch nicht zu denken, vielmehr waren Schönlieb und Coskun damit beschäftigt, Frau Meininger zu beruhigen. Der Arzt spritze ihr ein Beruhigungsmittel, und Schönlieb war froh, als sie das Haus endlich verlassen konnten.
Was für ein beschissener Tag.
Kapitel 35
Erstaunlicherweise schien am nächsten Tag die Sonne. Das war lange nicht mehr vorgekommen, und es passte überhaupt nicht zu Schönliebs Stimmung. Er stapfte durch die zu Eis erhärteten Schneereste, die langsam vor sich hin schmolzen und in denen sich die Sonne spiegelte. Er war müde. Er hatte nur vier Stunden geschlafen, fand aber selbst das zu lang. Schließlich war es jetzt schon neun Uhr. Er hätte schon lange im Büro sein müssen. Um neun Uhr sollte die Lagebesprechung stattfinden.
Als er den Kiosk von Arjun passierte, sah er, dass dieser einen kleinen runden Stehtisch aus Plastik aufgestellt hatte. Arjun stand mit zwei anderen Männern am Tisch, und jeder der beiden hatte eine Astraflasche vor sich stehen. Es war neun
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