Die Prüfung: Kriminalroman (German Edition)
Uhr morgens und dazu schweinekalt! Schönlieb ging an den dreien vorbei und schnappte einige Wortfetzen ihres Gesprächs auf. Sie wechselten routiniert ihre Stammtischparolen. Besonders oft kamen Satzphrasen vor wie: Die wollen angeblich … Ich habe gehört … Das ist ’ne Frechheit … Die, die, die … Schönlieb fragte sich, wie Arjun es nur den ganzen Tag mit diesen Typen aushielt, die seinen Kiosk belagerten.
»Und, hast du wieder angefangen?«, rief Arjun Schönlieb zu, als er ihn sah.
»Nein, und deswegen kaufe ich jetzt auch keine Schachtel bei dir, und du nimmst keine fünf Euro ein!«, rief Schönlieb zurück.
Arjun winkte fröhlich ab. Verdammter freundlicher Inder .
Eine halbe Stunde später war Schönlieb im Büro. Sie saßen um einen großen runden Tisch. Holding hatte offensichtlich im Büro geschlafen, denn er hatte noch dieselben Klamotten wie am Vortag an und dicke Augenringe. Coskun, Samson und Wallner sahen nicht viel frischer aus. Coskun schloss gerade ihren Bericht über den Besuch bei Frau Meininger ab.
»Und dann kam der Krankenwagen und hat sie abgeholt. Sie liegt jetzt im Krankenhaus und kriegt Beruhigungsmittel. Die wusste nichts von der Affäre. Das könnt ihr mir glauben. Das kann niemand so spielen.«
»Aber irgendjemand wusste davon und hat Professor Meininger erpresst«, sagte Samson und gähnte.
»Vielleicht Batman«, sagte Schönlieb und setzte sich dazu.
»Pah«, hörte er Wallner schnauben.
»Aber jetzt im Ernst«, übernahm Holding das Wort. »Wir müssen uns das alles noch mal vor Augen führen, Schritt für Schritt. Was wissen wir?« Er wartete keine Antworten ab, sondern fuhr mit seinem Monolog fort. »Huynh handelte mit Ritalin, zusammen mit seinem Kommilitonen Johann, den er später dazuholte. Doch vor ungefähr zwei Monaten wollte der Medizinstudent Max, der Huynh die Pillen besorgt hatte, nicht mehr mitmachen. Huynh deutete an, dass er Max nicht mehr brauchte. Vielleicht hatte er eine neue Ritalinquelle, vielleicht aber auch eine neue Einnahmequelle: Erpressung. Dann hätte er nicht mehr mit Ritalin handeln müssen, weil er das Geld, das er für seinen Lebensstil brauchte, von Meininger bekam.«
»Aber Johann hat weiterhin mit Ritalin gedealt, und bei Huynh zu Hause lagen jede Menge Pillenschachteln«, wandte Wallner ein. »Ich sage, die haben weiterhin Ritalin verkauft. Sie hatten eine neue Quelle.«
»Wir müssen Johann also noch einmal genau befragen«, sagte Schönlieb. »Er hat uns nicht alles erzählt. Er hat zum Beispiel verschwiegen, dass Huynh überhaupt Probleme hatte, die Pillen zu besorgen.«
»Gut. Dann haben wir Huynhs Freundin Marie«, fuhr Holding fort. »Auch die sollten wir noch einmal befragen. Sie scheint mir am Anfang einiges verschwiegen zu haben, zum Beispiel den handgreiflichen Streit zwischen Huynh und Alexander. Ich würde diese Spur nicht ganz außer Acht lassen.«
Schönlieb nickte nur, auch wenn er sich nicht allzu viel davon versprach.
»Und dann haben wir den unbekannten Verfasser der E-Mail, der auf Huynhs Tod eingeht und auf Meiningers Affäre.« Holding suchte kurz in dem Zettelhaufen, der vor ihm lag, und fischte schließlich einen der Zettel heraus. »Die E-Mail wurde von einem anonymen Account aus verschickt. Scheint ein Leichtes zu sein im Internet, sagen die Techniker. Da gibt es wohl nichts zu holen. Bleibt also zum einen der Inhalt der E-Mail, den es zu analysieren gilt, und zum anderen die Frau auf dem Foto.« Holding fischte mehrere Ausdrucke des Bildes aus seinem Zettelhaufen und ließ sie herumgeben.
Schönlieb starrte auf das Bild. Es war vergrößert auf A4 ausgedruckt worden, dennoch erkannte man so gut wie nichts. Er betrachtete die unscharfe Frau. In der linken Ecke des Bildes waren ein kleines Datum und eine Uhrzeit abgedruckt, die ihm gestern nicht aufgefallen waren: Das Foto war am 26. Oktober um 16:45 Uhr aufgenommen worden.
»Vielleicht kann man über das Datum und die Uhrzeit etwas herausfinden«, warf Schönlieb ein. »Vielleicht weiß die Sekretärin mehr. Oder sein Kalender.«
»Vielleicht«, sagte Holding, wirkte aber nicht zuversichtlich. »Wenn er seine kleine Affäre dokumentieren wollte. Davon ist aber eher nicht auszugehen.«
Da klopfte es plötzlich an die Tür, und sofort danach trat ein Mann ein, von dem Schönlieb glaubte, ihn schon einmal gesehen zu haben. Der Mann grüßte kurz und reichte Holding drei Ausdrucke.
»Ich dachte mir, das solltet ihr auf dem schnellsten Wege haben.
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