Die Puppe: Psychothriller (German Edition)
die Hände und bläst wie ein Drache weiße Wolken in die Luft.
»Ja, Sir? Kann ich behilflich sein?«
AJ starrt an ihm vorbei zum Haus. Er sieht Leute im Garten. Rechts neben der Einfahrt parkt ein Van, weiß und nicht markiert. Er kann in die Küche hineinschauen: Sie ist verwüstet. Lebensmittel und Geschirr auf dem Boden, Fenster zerschlagen. Jemand hat alles auseinandergenommen.
»Ich will zu Melanie Arrow. Sie wohnt hier.« Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen und wendet den Blick nicht von dem Chaos im Haus. »Aber Sie lassen mich wohl nicht durch.«
»Wir sind bei einer Routineuntersuchung, Sir. Sind Sie verwandt? Befreundet?«
»Mit Melanie? Ja, bin ich – sehr befreundet sogar.«
»Können Sie sich ausweisen?«
AJ kann. Er nimmt seine Versicherungskarte aus der Brieftasche und hält sie hoch. »Ich bin ein Arbeitskollege von ihr. DI Caffery kennt mich.«
»Ist er beim MCIT ? Avon and Somerset?«
»Ja.«
Der Polizist nickt. »Und Melanie haben Sie wann zuletzt gesehen …?«
»Vor zwei Stunden. In der Klinik, in der wir arbeiten. Können Sie mir sagen, was los ist?«
Der Polizist antwortet nicht. Er richtet sich auf und legt die Hände auf den Rücken. Dreht den Kopf nach links und nach rechts, als begutachte er den Horizont. Als müsse er seine Antwort gut abwägen.
»Wir wissen es nicht. Sie ist nicht hier.«
AJ schließt die Augen und legt einen Finger an die Stirn.
»Sir? Ist Ihnen nicht gut?«
Er nickt nur matt. Der Polizist beugt sich ins Fenster und legt ihm eine Hand auf die Schulter.
»Sir?«
»Mir geht’s gut. Ehrlich – alles okay.«
Monster Mother
Niemand hat »gekidnappt« gesagt, niemand spricht von »entführt«, aber die Worte sind da, klar und deutlich in den Lücken zwischen dem, was die Polizei sagt, und dem, was sie nicht sagt. Er erzählt ihnen nicht, was er über Melanies Rolle bei der Entlassung Isaacs weiß. Es ist weder eine Ironie des Schicksals noch eine verdiente Strafe, dass diese Angelegenheit für sie nach hinten losgegangen ist. Sie wird hundertfach für ihren Fehler bezahlen. Er möchte sich übergeben. Er – ein Psychiatriepfleger! Der mit Stress eigentlich zurechtkommen sollte. Ha!
Er beantwortet die Fragen der Polizei und erzählt ihnen alles, was er über Melanies Beetle in Erinnerung hat (nicht viel – er weiß, dass er schwarz ist, aber die Nummer kennt er nicht). Als sie mit ihm fertig sind, weiß er nicht, was er mit sich anfangen soll. Er hat versucht, Caffery anzurufen, doch dessen Telefon ist nicht erreichbar, und der Telefonist beim MCIT sagt immer wieder: Er ist nicht in seinem Büro, ich sage ihm, er soll Sie zurückrufen …
Der Gedanke daran, nach Hause zu fahren, erfüllt ihn mit Grausen. Patience wird kein Mitleid haben. Sie ahnt nichts von der Last der Schuldgefühle, die ihn jeden Tag taumeln lässt – weiß nicht, dass er sich die Schuld an dem gibt, was mit Mum passiert ist, und dass es jetzt schon wieder vorkommt. Wieder hat er es nicht geschafft, im richtigen Augenblick da zu sein.
Ohne dass er bewusst darüber nachgedacht hat, ist er unversehens wieder in der Klinik und steht vor Gabriellas Zimmer. Offenbar hat er einen Hoffnungsschimmer oder ein tröstendes Wort von ihr erwartet, denn kaum hat er einen Blick durch das drahtverstärkte Türfenster geworfen und sie gesehen, wird seine Mutlosigkeit noch schlimmer. Er findet hier keine glückliche Monster Mother. Was er hier findet, ist das dunkle Herz des Gewittersturms.
Sie kauert in der Ecke. Streichelt ihren nicht vorhandenen Arm, als täte er ihr weh. Ihr Kleid ist von einem so dunklen Indigo, dass es fast schwarz aussieht. Als er klopft, antwortet sie nicht. Er weiß, sie hat sich die Haut abgezogen und versteckt sich.
»Gabriella?«
Er tritt ein. Sieht sie nicht an, sondern schaut fest geradeaus.
»Gabriella – wo sind Sie?«
»Ich bin hier«, zischt sie. »AJ – hier in der Ecke.«
Er schaut sie an. »Hallo«, sagt er kläglich. »Hallo.«
Ihr Lächeln sieht traurig aus. »Du fühlst es auch, nicht wahr, AJ? Ich sehe es um dich herum – du hast die Aura. Es tut weh.«
Die Zärtlichkeit in ihrem Ton wirft ihn fast um. Es fühlt sich an wie Mums Hand, die ihm über die Stirn gestrichen hat, wenn er als Kind einen Alptraum hatte.
»Ja, ich … ich bin …« Er bringt die Worte nicht heraus. »Darf ich mich setzen?«
Sie nickt freundlich. »Aber sieh meine Haut nicht an. Wenn du es tust, wird ›Maude‹ es merken.«
»Und Ihre Haut ist …?«
»Da
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