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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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Zigeunern?«
    Saviya schüttelte die schwarzen Locken.
    »Ach, was seid ihr unwissend, du und deinesgleichen. Es ist ein … wie heißt es … ein Blutstausch.« Sie nahm seinen Arm. »Eigentlich muß es sehr feierlich vor sich gehen.«
    »Saviya«, protestierte Richard, »ich blute ohnehin schon, aber wenn du die Absicht hast, dir noch eine Wunde zuzufügen, damit ich dich wieder pflegen muß, gehe ich und lasse dich hier sitzen.«
    Wider Erwarten brach Saviya in Gelächter aus. Sie murmelte etwas in ihrer Sprache und sagte dann: »O nein, das tust du nicht.« Schnell nahm sie sein Messer und ritzte sich einen Finger ihrer rechten Hand. »Siehst du, es ist ganz harmlos.« Sie preßte ihren Finger gegen seine offene Wunde und blinzelte ihm zu. »Wenn du nicht so ein empfindlicher Fremder wärst, würde ich mir die gleiche Stelle aufschneiden, die bei dir verwundet ist, wie es sich gehört.« Einen Herzschlag lang schwiegen sie. »So, nun kannst du dich verbinden, Riccardo.«
    »Und das war alles?«
    »Alles?« rief Saviya entrüstet und wirkte mit einem Mal sehr jung. »Wir sind jetzt auf immer und ewig verbunden, und du sagst … ach, du bist so dumm, Riccardo!«
    Richard stand auf. »Wie gut, daß du mich immer daran erinnerst, ich vergesse es sonst. Aber, Saviya … Ich weiß nicht, ob du es aushalten kannst, nur … wir müssen so bald wie möglich fort von hier, möglichst in der nächsten Stunde. Räuber streifen gewöhnlich nicht alleine durch die Gegend.«
    »Ob ich es aushalten kann?« wiederholte Saviya. »Ich kann es schon seit Tagen aushalten! Ach, du bist so dumm, Riccardo!«
    Zwei Stunden später waren sie schon auf dem Weg nach Bozen. Richard hielt Saviya vor sich auf dem Sattel. Er hatte vorgehabt, das Pferd am Zügel zu führen, um ihm nicht zuviel Gewicht aufzubürden, doch Saviya hatte es abschätzig gemustert und gesagt: »Du hast nicht so viel Gepäck, ich bin nicht schwer, und wir haben es eilig. Warum seid ihr Erwachsenen so unpraktisch?«
    Es war eines der wenigen Male, daß sie sich eindeutig den Kindern zurechnete.
    Saviya beklagte sich mit keinem Wort, obwohl sie Schmerzen haben mußte, sondern freute sich, endlich wieder unterwegs zu sein. »Sieh nur, Riccardo, der Vogel dort! Er ist so bunt wie ein Kleid!« Sie schnupperte. »Riechst du den Frühling, Riccardo?«
    Als sie an einem riesigen Wasserfall vorbeiritten, hielt Richard an und saß ab, und für eine Weile betrachteten sie beide schweigend das Wunder vor ihren Augen. Durch die Schneeschmelze war er zu gigantischen Ausmaßen angeschwollen. An manchen Stellen schien sich der gerade Wasserstrahl zu stauen, und was dort donnernd herunterkam, war weder Wasser noch Nebel, sondern irgend etwas dazwischen. Eine Schönheit, die sprachlos macht, dachte Richard, und als er Saviyas regloses Gesicht sah, wußte er, daß sie von derselben Ehrfurcht ergriffen war. Mit einem Mal seufzte das Mädchen auf. »Riccardo, da!«
    Zwischen Fels und Wasserfall spannte sich ein Regenbogen.
    Die Berge verloren mehr und mehr an Höhe, und sie veränderten dabei ihr Aussehen. Richard hatte sich an schneebedeckte Gipfel und Gletscherseen gewöhnt, doch die Felsen, die ihnen nun entgegentraten, schienen sich ihre eigene Gestalt erkämpft zu haben. Noch wuchs wenig auf ihnen, aber der nackte Stein bildete manchmal so wunderliche Formationen, daß Richard glaubte, hier müßten Menschen mit Hand angelegt haben.
    »Schau nur, Saviya«, sagte er am zweiten Abend ihres Ritts, als sie ihr Nachtlager bereitet hatten, verblüfft zu dem Zigeunermädchen und deutete auf Felsen vor ihnen, die von der Sonne in Rot und Schwarz getaucht wurden, »hier kann man Türme erkennen – Fenster – Mauern –, als ob dort die Ruinen einer Stadt lägen.«
    Mit zusammengekniffenen Augen studierte er die Karte, die Eberding ihm überlassen hatte. »Aber hier gibt es nichts dergleichen.« Resigniert ließ er das Blatt sinken. »Es muß wohl eine Täuschung des Lichts sein.«
    Wieder schaute er zu den Felsen empor, und noch deutlicher als vorher ließ die untergehende Sonne scharf geschnittene Umrisse hervortreten, die sich zu verlassenen Palästen formten.
    Saviya war an diesem Abend ungewöhnlich aufgeräumt. »Wenn du mir versprichst, nicht zu lachen, Riccardo«, antwortete sie, und der Schalk tanzte in ihren Augen, »dann verrate ich dir etwas über die Stadt dort.«
    »Ich verspreche es«, schwor er so ernst wie möglich. Saviya kauerte sich neben der Feuerstelle nieder und legte

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