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Die Puppenspieler

Die Puppenspieler

Titel: Die Puppenspieler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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ein gewaltiger Talkessel öffnete. Instinktiv zügelte Richard sein Pferd. Vor ihnen ragte ein Meer von Türmen auf. Die Stadt lag in Form einer Spindel vor den Reisenden. Richard hielt den Atem an. Es war Wirklichkeit geworden. Florenz.

18
    D IE S TADT DER B LUMEN ließ ihre Besucher durch die Porta alla Croce ein, eines von elf Toren, wie Richard später erfuhr. Staunend sah er, daß dieses simple Bollwerk mit Malereien verziert war, die man eher in einer Kirche vermutet hätte. In ihren warmen Tönen fügten sich die Farben zu Darstellungen von zahlreichen Personen und Umzügen zusammen, die wirkten, als hätte der Maler sie eben erst auf das Tor gebannt. Diese Fresken konnten noch nicht alt sein!
    Die Straßen, durch die sie ritten, waren nicht nur alle gepflastert – was in einer deutschen Stadt eine Seltenheit war –, sondern hatten auch eigenartige Vertiefungen links und rechts am Rand.
    »Abflußrinnen«, erläuterte Anton Eberding auf Richards Frage hin. »Eine recht sinnvolle welsche Erfindung. Wenn es regnet, wird aller Abfall, der dort gelandet ist, weggespült. Aber nun kommt schon, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«
    Die Männer, die durch die Straßen schlenderten und die Reisenden nicht sonderlich beachteten, trugen meist einen langen, dunklen Rock, der bis auf die Füße reichte und entweder eine Haube oder ein Barett. Richard bemerkte allerdings auch einige Leute in hellen Mänteln, die in leuchtenden Farben prunkten, vorne offen, oben gerafft und über den Schultern zusammengehalten. Auffallend war vor allem, daß jung und alt dieselben Stücke trugen, nur mit dem Unterschied, daß die jungen Männer den dunklen Rock durch enge, häufig sogar zweifarbige Hosen ersetzten, und ihre Mäntel mehr über den Arm als um die Schultern gelegt hatten. Richard war fasziniert von dem Farbenmeer, das sich ihm bot. Die Frauen trugen reichbestickte Kleider, meist aus Brokat und in den leuchtendsten Farben. Ihre Gewänder waren langärmlig, mit gefältelten Röcken und das Oberteil lag sehr eng an.
    Die Häuser wirkten völlig anders als die Gebäude in Venedig; es waren streng symmetrische, abgeschlossene Palazzi, die eher Festungen glichen. Florenz hatte eine lange Bürgerkriegsvergangenheit. Doch vor dem untersten Stockwerk der Palazzi entdeckte er verschiedentlich eine Art offenen Säulenvorbau aus hellem Sandstein, den man, wie er inzwischen erfahren hatte, als Loggia oder auch Casolare bezeichnete. Dort drängten sich viel mehr Menschen als auf den sonnendurchfluteten Straßen und Richard erkannte, daß in den Casolari ein Stand neben dem anderen Platz gefunden hatte, an denen lautstark gehandelt und gefeilscht wurde. »Aus dem Weg! Aus dem Weg!« ertönte plötzlich ein Schrei über das Stimmengewirr der Menge hinweg. »Mein Pferd! Ah, dieses Luder! Aus dem Weg!« Die Leute wichen zu beiden Seiten hin aus und ein rotgesichtiger, verschwitzt aussehender Dicker kam angerannt. »Ah, dieser Schuft von einem Seifensieder, er hat mir meinen Hengst mit einer Stute weggelockt! Aus dem Weg, Idiot!«
    Die Reisenden aus Augsburg waren durch ihr Gepäck etwas unbeweglich, und Gelächter kam auf, als der Mann mit ihnen zusammenstieß und sich erst nach heftigen Flüchen wieder aufrappeln konnte. Ohne sich zu entschuldigen, rannte er weiter. »Du Esel, dein Hengst ist längst über alle Berge«, rief ihm einer der Umstehenden zu. Faszinierend! Kannten sie sich denn alle? überlegte Richard.
    Das Haus, das sie beziehen und zu einer Filiale für das Unternehmen Fugger machen würden, lag im Viertel Santa Croce, am rechten Ufer des Arno. Es hatte drei Stockwerke und einen mit Steinplatten belegten Säulengang, die Loggia nicht mitgerechnet. Die fast unbehauenen, großen Quader ließen es von außen unzugänglich und abwesend erscheinen, doch Richard staunte über die Schönheit, die sich im Inneren offenbarte.
    Alle Gehilfen waren im zweiten Stock untergebracht. Richard konnte von seiner Kammer auf den Innenhof hinausblicken, wo sich unter kunstvoll gestalteten Arkaden bereits Stoffballen stapelten. Zwei Brunnen sorgten für Erfrischung bei der glühenden Hitze, die sich tagsüber hier staute, doch war offensichtlich nur einer von ihnen zum Tränken von Tieren oder dergleichen bestimmt. Der andere schleuderte sein Wasser in die Luft, um es in breiten, tiefgewölbten Schalen wiederaufzufangen.
    Wäre er allein hier gewesen, dann hätte sich Richard sofort auf den Weg zur Universität gemacht. Doch Meister Eberding

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