Die Puppenspieler
Wissens den Palazzo seit ihrem Auftritt nicht mehr betreten hatte, und das Bild einer ermordeten Saviya gewann in Richards Kopf wieder Konturen von erschreckender Deutlichkeit. Lorenzo musterte ihn nachdenklich.
»Geht nach Hause, Riccardo«, sagte er ruhig. »Vielleicht ist sie längst wieder dort und wartet auf Euch. Falls nicht, dann gebe ich Euch morgen einige Leute mit, um sie zu suchen.«
»Ihr seid sehr freundlich, Messer«, murmelte Richard und schwor sich insgeheim, Saviya umzubringen, falls sie tatsächlich in der Herberge auf ihn wartete. Es war ihm nur zu bewußt, wie unangemessen es eigentlich war, Lorenzo de'Medici an diesem Tag wegen des lächerlichen Streites eines Liebespaares zu behelligen. »Ich hoffe, es geht für Euch alles gut aus«, sagte Lorenzos Tochter und vergrößerte sein Schuldgefühl noch. Er verabschiedete sich hastig von allen und verschwand so schnell wie möglich.
Michelangelo Buonarroti benutzte die Gelegenheit, um Richards Beispiel zu folgen, und auch Contessina wünschte ihrem Vater und Poliziano bald eine gute Nacht und zog sich zurück. Lorenzo schaute ihr ein wenig verwundert nach.
»Ich verstehe, warum der junge Tedesco es eilig hatte«, sagte er zu Poliziano, »schließlich kenne ich solche Situationen selbst zur Genüge. Aber was ist denn in Michelangelo und Contessina gefahren?«
Sein Freund fuhr sich nervös durch das Haar. »Tja … also, ich vermute, es war meinetwegen.«
»Deinetwegen?«
Es gab Augenblicke, in denen sich Angelo Poliziano am liebsten weit weg gewünscht hätte, und dies war einer davon. Er war der Erzieher aller Medici-Kinder gewesen, bis er sich mit Lorenzos inzwischen verstorbener Gattin Clarissa zerstritten hatte, und gerade Contessina mochte er sehr gerne. Doch es gab Dinge, die gesagt werden mußten.
»Als ich vorhin hereinkam, standen sie ziemlich eng beieinander – Michelangelo und Contessina. Nicht auf unziemliche Weise«, fügte er hastig hinzu. »Es ist nur so, daß ich den Eindruck gewann, sie wären sehr vertraut miteinander.«
»Hm.« Lorenzos Gesichtsausdruck war undurchdringlich; er schaute weiterhin auf die Tür, die Contessina sachte hinter sich geschlossen hatte.
»Ich weiß, daß du denkst, Contessina sei noch ein Kind«, fuhr Poliziano fort, »aber das ist sie nicht mehr. Denk nur einmal nach. Michelangelo wohnt hier im Palazzo. Du behandelst ihn wie ein Familienmitglied. Sie sehen einander fast täglich, und sie sind im gleichen Alter. Was erwartest du denn?«
Endlich rührte sich Lorenzo; er setzte sich, ohne ein Wort zu sagen, in den hochlehnigen Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand, lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Erst dann sprach er.
»Contessina weiß, daß sie Niccolo Ridolfi versprochen ist, seit fast zehn Jahren schon. Und unser Michelangelo … du kennst ihn doch. Er ist so unzugänglich und so sehr in den Marmor vernarrt, daß er es sein Leben lang schwer haben wird, Freunde zu finden. Laß die beiden Freunde sein, Angelo. Sie haben nur noch sehr wenig Zeit.«
Plötzlich klang seine Stimme bitter. »Und weiß Gott, die Medici brauchen Freunde.«
Auf dem Weg zur Herberge ließen Zorn und Sorge Richard immer schneller und schneller werden. Das Grinsen des Wirts sagte ihm alles. Er stürmte die Stufen hinauf, öffnete den Mund, um Saviya alles entgegenzuschleudern, was sich den ganzen Tag lang in ihm aufgestaut hatte; doch als er sie auf dem Boden zusammengekauert sitzen sah, die Arme um die Knie geschlungen wie ein Kind, spürte er nichts außer der unendlichen Erleichterung, sie am Leben zu wissen.
»Es tut mir leid«, sagte sie leise.
Richard kniete sich neben sie. »Nein, es … es war mein Fehler. Ich hätte nicht so mit dir reden sollen.« Die Stimme versagte ihm, und er umarmte sie.
Erst am nächsten Morgen, als er aufwachte und froh war, sie sicher in seinen Armen zu spüren, fiel ihm auf, daß sie ihm nicht erzählt hatte, wo sie gewesen war.
Er wollte sie nicht danach fragen; es schien, daß das zarte Gewebe, das sie miteinander verband, davon abhing, daß keine Seite zu sehr daran zerrte. Statt dessen entschloß er sich, mehr über ihre Vergangenheit zu erfahren. Er streichelte ihre Schulter und bemerkte einmal mehr, wie schnell sie wach wurde; es war die Reaktion eines gejagten Tieres, dessen Überleben von seiner Schnelligkeit abhing. Saviya lächelte ihn an, dehnte und reckte sich ein wenig.
»Guten Morgen, Riccardo«, sagte sie, schloß die Augen wieder und legte seinen
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