Die Puppenspieler
Gelegenheit gehabt hätte, ein paar Mitglieder der Familie Orsini kennenzulernen, wurde ebenfalls verschoben, denn Giovanni de'Medici begab sich zusammen mit den anderen Kardinälen ins Konklave. Richard war folglich weiterhin auf Gerüchte beschränkt, die er in Roms eng begrenzten Handelskreisen aufschnappte. Es hieß, der französische König habe zweihunderttausend, die Regierung von Genua hunderttausend Dukaten zur Verfügung gestellt, falls Kardinal della Rovere gewählt würde; Lodovico Sforza stand angeblich mit seinem gesamten Vermögen hinter seinem Bruder, Kardinal Ascanio Sforza; andere wollten gesehen haben, wie vier mit Silber beladene Maultiere vom Palazzo der Borgia zu dem der Sforza geführt wurden.
Noch immer stand das Vertrauen zwischen Mario und Richard auf einem empfindlichen Fundament. In ihren Gesprächen vermieden sie allzu persönliche Themen und beschränkten sich lieber auf das sichere Gebiet der Wissenschaften. Dabei kam Richard immer deutlicher zu Bewußtsein, daß er mit seiner Entscheidung für das Unternehmen Fugger die Dinge, die ihm wirklich von Bedeutung waren, zurückgestellt hatte. Mario war taktvoll genug, nicht mehr davon zu sprechen, bis Richard einmal beiläufig die Größe seines ererbten Vermögens erwähnte.
»Dann verstehe ich nicht«, sagte der Mönch mit hochgezogenen Brauen, »warum du das Kaufmannsleben nicht sein läßt und studierst.«
»Weil du Jakob Fugger nicht kennst«, entgegnete Richard und starrte in seinen Weinbecher. »Oder diese Geschichte aus Hameln, von dem Rattenfänger. Jakob fängt Seelen, und darin ist er der Beste. Dein Gewerbe, Mario.«
»Ich glaube, du trinkst in der letzten Zeit zuviel.«
Richard erwiderte nichts, doch er rührte das anheimelnde Getränk auch nicht an – noch nicht. Er hatte Mario bisher nichts von Heinrich Institoris erzählt, von seinem ganz persönlichen Grund, einen neuen Papst herbeizuwünschen. Was er jetzt nicht gebrauchen konnte, war eine Predigt über Rache.
Also sprachen sie wieder über etwas anderes, und wieder kehrte Richard mit einem Gefühl nagender Unzufriedenheit in das Gebäude, das Zink für das Unternehmen gekauft hatte, zurück. Ursprünglich hatte Richard sich eigene Zimmer in einer Herberge nehmen wollen, doch jeder, der davon hörte, riet ab.
»Außerhalb der Handelshäuser«, hieß es, »sterben Fremde leichter als sonst irgend jemand in Rom, und kaum einer macht sich die Mühe, die Leichen, die aus dem Tiber gefischt werden, zu bestatten, wenn nicht zufällig jemand dabei ist, der sie erkennt. Wollt Ihr unbedingt im Massengrab enden?«
So wohnte er wieder in einer Niederlassung des Unternehmens. In seinen schlaflosen Nächten griff er nach langer Zeit erstmals wieder nach einem Kohlestift. Er war entsetzt über das Ergebnis seiner Zeichenkünste. Als Kind hatte er sich immer für einen begabten Zeichner gehalten, doch inzwischen hatte er die Fresken in den italienischen Kirchen, die Gemälde in den Palazzi gesehen, und er konnte sich auch noch an einige der Skizzen erinnern, die ihm Lorenzos Schützling, Michelangelo Buonarroti, gezeigt hatte.
Dagegen verhielten sich seine Versuche wie grob behauene Steinblöcke zu einem fein gedrechselten Stuhl. Die Herausforderung, doch noch etwas Annehmbares zu Papier zu bringen, ließ ihn nicht mehr los, und er zeichnete bis zum Morgengrauen. Eigentlich überraschte es ihn kaum, daß das, was ihm schließlich entgegenschaute, ein beinahe schmerzhaft genaues Porträt Saviyas war.
Er legte die Zeichnung zur Seite, wusch sich und spürte erleichtert die Wirkung des Wassers auf seinen brennenden Augen. Dann kleidete er sich rasch an; denn er hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, allmorgendlich den Platz vor der Peterskirche aufzusuchen, um zu erfahren, ob die Kardinäle sich endlich geeinigt hatten.
Diesmal hatte er Glück. Schon aus der Ferne sah er den weißen Rauch, und während er sich durch die Menge drängte, hörte er, wie ein Prälat über den Platz hinweg lauthals verkündete: » Habemus papam !«
Der neue Papst nannte sich Alexander VI. Diese Namenswahl, so kommentierten seine Feinde, zeigte bereits den Hochmut, zu dem ihn sein neues Amt verleitete. Aber sehr bescheiden war Rodrigo Borgia ohnehin nie gewesen.
Seine Eminenz Kardinal de'Medici saß ärgerlich in dem privaten Speisezimmer, das ihm der florentinische Botschafter zur Verfügung gestellt hatte, und war abwechselnd damit beschäftigt, auf seinen Beichtvater einzureden und hungrig den
Weitere Kostenlose Bücher