Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
sich, als habe sie den Tod eines geliebten Menschen zu verkünden. »Es ist lange ein Geheimnis gewesen, Simon, aber jetzt ist die Zeit gekommen, dass du die Wahrheit über deine Familie erfährst.«
Als Simon jetzt am Rand des Roten Platzes stand und auf den Kreml blickte, dachte er an Genevieve und an die genauen Worte, die sie vier Monate zuvor gesprochen hatte. Die Wahrheit, die sie ihm beichtete, schockierte ihn, stellte vieles in seinem Leben in Frage und zwang ihn, darüber nachzudenken, ob sein Leben vielleicht anders verlaufen wäre, hätte er diese Wahrheit gekannt. Doch war es eine Wahrheit, die ihn erschreckte und den Kontext seines ganzen Lebens veränderte.
Allerdings verblasste es neben dem, was Genevieve ihm dann als Nächstes erzählt hatte. Sie sprach ausführlich über das Gemälde, das einst bei ihr an der Wand gehangen hatte, über die Karte, die unter diesem Gemälde versteckt war, und wohin diese Karte führte. Und schließlich erzählte sie von der goldenen Schatulle, die versteckt war in der verlorenen byzantinischen Liberia unter den Mauern des Kremls – das Ziel, zu dem die Karte führte. Trotz seines Alters und der vielen Dinge, die Simon in seinem Leben gesehen hatte – sämtliche Gräuel, zu denen der Mensch fähig ist, und die Düsternis der menschlichen Seele –, trotz alledem hatte er sich nie so sehr gefürchtet wie an jenem Tag. Denn Genevieve offenbarte ihm, welches Geheimnis in der Schatulle verborgen lag, die bekannt war unter dem Namen Albero della Vita. Ein Geheimnis, das niemals in den Besitz von Julian Zivera gelangen durfte.
Und so stand Simon an diesem warmen russischen Morgen auf dem Roten Platz, dachte an Michael, an das, was er gerade tat und an die Menschen, deren Überleben davon abhing, ob die Schatulle gefunden wurde.
Und er wusste, dass ihm keine andere Wahl blieb.
Michael musste aufgehalten werden.
40.
D ie Kammer war im wahrsten Sinne des Wortes eine Schatzkammer: kein Tresor, in dem es massenhaft Geld gab, sondern ein Raum, der gefüllt war mit Schätzen. Michael und Susan standen da, starrten auf das Bild, das sich ihnen bot, und waren geblendet von dem Reichtum, der sich vor ihnen auftat. Gold und Juwelen, Statuen und Artefakte. Antike Stücke aus versunkener Zeit. Am anderen Ende des Raumes standen Marmorbüsten vor der Wand, die sie mit dunklen Augen anklagend zu beobachten schienen. Mit Juwelen besetzte Kelche und Kreuze; Halsketten mit blutroten Rubinen, akzentuiert mit nachtblauen Saphiren. Aufwendig gearbeitete Schwerter, deren Griffe mit derart vielen kostbaren Edelsteinen verziert waren, dass sie überladen wirkten. Haufenweise Reichtümer, Beute aus Eroberungszügen, der Besitz ganzer Königreiche. Eine Welt der Kostbarkeiten versteckt in einem Raum aus dunklem Stein: die Böden, die Wände und die drei Meter hohe Decke über ihnen sahen aus, als hätte man sie aus dem Herzen der Erde herausgemeißelt.
Als sie den Raum betraten, hielten Michael und Susan ihre Taschenlampen in den Händen und blieben wie angewurzelt stehen. Überall im Raum lag feiner Staub, der von jedem ihrer Schritte aufgewirbelt wurde. Und sie entdeckten etwas, was sie nicht erwartet hatten, etwas Frisches und Unverkennbares. Die Spuren von Füßen, die diesen Raum betreten und darin umhergelaufen waren; es sah aus, als stammten die Spuren von einem verwirrten Touristen. Sie waren von einer Person und mäanderten durch den gesamten Raum, bis sie schließlich kehrtmachten und durch der Tür wieder nach draußen verschwanden. Es waren kurze Schritte – Spuren, die jemand hinterlassen hatte, der vorsichtig gewesen war. Dieser Jemand schien vor jedem der Artefakte Halt gemacht zu haben, ohne gezielt einen Zweck damit zu verfolgen.
»Glauben Sie, dieser Lexie hat die Schatulle gefunden?«
»Sie war nicht in seiner Tasche. Ich bezweifle sehr, dass Lexie wusste, wonach er suchen sollte.«
»Wissen Sie es denn?«
Michael schaute sie an, sagte aber nichts und durchquerte die Schatzkammer. Er ließ das Licht seiner Taschenlampe auf die Wand am anderen Ende scheinen. Der Strahl brach sich auf Bergen von Gold und tauchte den ganzen Raum in ein Licht, das so hell war wie Sonnenschein.
Michael ging umher und schaute sich im Einzelnen an, was da an der Wand stand.
»Paul ist in großer Gefahr«, flüsterte Susan.
Michael blieb stehen, drehte sich zu ihr um und rief quer durch den Raum: »Ich weiß, aber wir dürfen uns hier unten von nichts ablenken lassen.«
»Ich dachte, er
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