Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
schaute Michael an und empfand Stolz auf den Mann, der da vor ihm stand. »Sie haben gute Arbeit geleistet.« Stephen zeichnete weiter, schwieg eine Weile, und blickte dann wieder auf. »Du wunderst dich wahrscheinlich über meinen Panikraum und all die Bilder. Du fragst dich bestimmt, warum ich nie versucht habe, Kontakt mit dir aufzunehmen.«
»Ist schon okay.« Michael lächelte, als er sah, welches Unbehagen es dem Mann bereitete, über seine Gefühle zu sprechen. »Du brauchst nicht darüber zu reden. Ich habe nur eine Frage. Meine Mutter …«
Stephen lächelte. »Sie war jung und hatte große Angst. Sie war wunderschön und zäh.« Sein Blick richtete sich in die Ferne. »Sie war klug, und sie war meine beste Freundin. Gott, wenn wir nur wissen würden, wann wir die schönsten Augenblicke erleben, die das Leben für uns bereithält, damit wir sie mehr genießen könnten …«
Michael sagte nichts. Er wusste genau, was sein Vater meinte.
»Wir hatten schreckliche Angst, als wir herausfanden, dass sie schwanger war. Aber sie wollte dich mehr als alles andere auf der Welt. Wir hatten keine Vorstellung, was wir tun würden, wie wir es hinkriegen sollten, aber irgendwie, dachten wir, würde sich schon ein Weg finden. Und nach all der Angst, nach all den Schmerzen, hielt sie dich dann endlich in den Armen. Das Letzte, was sie auf dieser Welt gesehen hat, schenkte ihr das größte Glücksgefühl, das sie je erleben sollte. Ich hatte sie nie zuvor so glücklich gesehen wie in diesem Moment.« Stephen blickte zu seinem Sohn auf. »Du hast sie selig gemacht.«
Michael blickte ihn schweigend an. Er wusste, wie es sich anfühlte, wenn man jemanden verlor, den man liebte, wenn man den einen Menschen verlor, der einem den Grund dafür gab, Freude an der Welt zu haben, weil er einem jeden Morgen beim Aufwachen neue Hoffnung schenkte. Er saß einem Mann gegenüber, der einen solch bitteren Verlust dreimal durchgemacht und dennoch einen Weg gefunden hatte, weiterzuleben, aller Einsamkeit zum Trotz.
»Und noch etwas«, meinte Stephen und riss sich von seinen Erinnerungen los. »Sie war ein riesiger Fan der Red Sox.«
»Oh, jetzt willst du mir was antun«, stöhnte Michael. »Sie kam mir vollkommen vor, bis du das jetzt gesagt hast.«
»Sprich es lieber gar nicht erst aus.«
Michael nickte.
»Wie ist das möglich, dass du für die Yankees bist? Die können doch nichts anderes als uns unsere besten Leute klauen. Du jubelst für einen Haufen ehemaliger Red-Sox-Spieler.«
»Du machst wohl Witze.« Michael lachte. »Und gerade eben dachte ich noch, das alles hier liefe ganz prima. Hast du in deiner Jugend irgendwas gespielt?«
»Oh ja«, antwortete Kelley. »Baseball, Football, Basketball. Und ich habe geboxt.«
»Ein Boxer?«, feixte Michael.
»Ist das so schwer zu glauben? Wenn du aus dem Süden der Stadt kamst, musstest du lernen, dich zu wehren, oder du hattest keine Chance.«
»Wie ist es mit deinem Sohn? Was hat der gespielt?«, fragte Michael.
Schlagartig verstummte Kelley, und für einen Moment schaute er weg.
»Entschuldige, ich …«
»Nein, das ist in Ordnung. Er war mehr der intellektuelle Typ. Du hättest ihn aber gemocht.« Kelley lächelte. »Du hättest ihn sogar sehr gemocht. Ihr hättet ein gutes Brüderpaar abgegeben.« Kelley fasste sich wieder und lachte. »Obwohl ihr auf entgegengesetzten Seiten des Gesetzes tätig wart. Und das mit deiner Frau tut mir sehr leid.«
»Alles Geld der Welt hätte sie nicht retten können. Können wir jetzt aufhören mit den traurigen Erinnerungen?«
Stephen Kelley lächelte und legte die fertige Skizze so hin, dass Michael sie sehen konnte. Sie zeigte vier Stockwerke, einige der Räume im Detail. »Ich war nicht überall, aber an das hier erinnere ich mich.«
Michael studierte die Zeichnung. Er wusste, dass Susan irgendwo in diesem Haus war, völlig verängstigt, und dass sie sich fragte, ob jemand kommen würde, um sie zu retten.
»Eigentlich bin ich ziemlich gut dran«, sagte Kelley mit einem Hauch von Optimismus in der Stimme. »Ich habe einen Sohn gefunden, den ich verloren zu haben glaubte. Oder was meinst du?«
Stephen streckte Michael die Hand entgegen. Michael ergriff sie und schüttelte sie herzlich. Es war ein denkwürdiger Moment – der Augenblick, in dem Vater und Sohn einander anerkannten. Schließlich griff Michael in seine Tasche und reichte Stephen eine kleine Zigarrendose aus Blech.
»Wofür ist das?«, fragte Stephen.
»Für später. Ich
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