Die Quelle der Seelen: Thriller (German Edition)
Donner gerührt.
»Aus offensichtlichen Gründen hat Julian nicht die Absicht, das Lösegeld zu zahlen, aber er will sie zurück«, sprach Fetisow weiter. »Und er will, dass Sie sie retten.«
Michael schossen so viele Fragen durch den Kopf, dass er sie erst einmal von sich schob, um sich weiterhin konzentrieren zu können und so viele Informationen zu sammeln wie möglich. »Wo ist dieses Laboratorium? Wo hat man sie hingebracht?«
»Sie haben sie ins Haus und dann mit dem Lastenaufzug nach unten gebracht.« Fetisow machte eine Pause, als müsse er einen Todesfall verkünden. »Sie befindet sich zehn Etagen unter der Stelle, an der wir in diesem Augenblick stehen.«
»Wo ist der Fahrstuhl?«
»Da drin«, erwiderte Fetisow und wies auf den Eingang hinter den beiden Wachmännern vor dem ehemaligen Zeughaus.
Michael blickte auf das Arsenal und die schwergewichtigen Wachen und fragte sich, ob das Ganze überhaupt möglich war. Genevieve war am Leben und wurde gefangen gehalten in einem schwer gesicherten Gebäude. Egal wie clever er es anstellte, die Sicherheitsvorkehrungen zu überlisten – die bewaffneten Männer waren unberechenbar. Sie würden keine Fragen stellen, sondern schießen.
Michael versuchte, die Worte Fetisows in ihrer gesamten Tragweite zu erfassen, aber sie gingen in seiner Verwirrung unter. Als er auf das Gebäude schaute, dachte er an seinen Vater. Hier ging es nicht um Gold, Juwelen oder irgendein Kunstwerk. Hier ging es um ein Menschenleben, um das Leben seines Vaters. Er war aus dem einzigen Grund hier, seinen Vater zu retten. Und so unmöglich ihm diese Aufgabe auch erschienen war, er hatte immer noch Hoffnung. Wenn er es richtig plante, hatte er eine Chance, die Liberia zu finden und die Schatulle zu beschaffen, die er gegen seinen Vater eintauschen konnte.
Aber jetzt auch noch Genevieve. Er hätte alles für sie getan, wusste aber, dass es völlig unmöglich war, in dieser verbotenen Welt zwei Dinger zur gleichen Zeit zu drehen.
Zwei Leben lagen jetzt in seiner Hand – die Leben zweier Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Und Michael hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er es schaffen sollte, beide zu retten.
»Ich weiß nur, dass sie am Leben ist«, sagte Fetisow, als sie die Basilius-Kathedrale passierten und über den Roten Platz liefen.
»Soll das meine Laune heben?«, sagte Michael.
»Trotz allem, was Ihnen vielleicht zu Ohren gekommen ist, empfindet Julian etwas für seine Mutter. Er liebt sie sogar sehr«, sagte Fetisow.
»So sehr, dass er sie gejagt hat wie ein Tier?«
»Schauen Sie sich an, was Sie alles aufführen, um einen Vater zu retten, den Sie noch gar nicht kennen.«
Wütend starrte Michael Fetisow an, diesen russischen Bauern in Julians Schachspiel.
»Familienbande sind kompliziert«, meinte Fetisow. »In den Beziehungen zwischen Eltern und Kindern gibt es viele Probleme und sehr viele Missverständnisse. Sie selbst sind ja offenbar noch nicht Vater. Julian liebt seine Mutter und will nicht mit ansehen müssen, dass sie stirbt.«
»Warum zahlt er dann nicht das Lösegeld? Die Welt unter dem Kreml gehört sowieso Russland. Er hat Geld und Macht. Wenn man sich das Ganze ansieht, kommt doch zwangsläufig die Frage auf, was der Mann sonst noch brauchen könnte in seinem Leben. Was ist so besonders an dieser kleinen Schatulle?«
»Muss ich Sie daran erinnern, dass Sie derjenige sind, der die Karte besitzt, nicht Julian? Und muss ich Sie daran erinnern, dass er Ihren Vater töten wird, wenn Sie ihm nicht die Schatulle und Genevieve bringen? Seine Forderungen sind größer geworden: Ihren Vater gegen seine Mutter. Seien Sie dankbar, dass er nicht noch mehr will, denn sonst würden sich Ihre Aussichten, Ihren Vater ein zweites Mal im Leben zu Gesicht zu bekommen, bald darauf beschränken, dass Sie ihn in einem Sarg ruhen sehen.«
24.
D ie Suite im Le Royal Meridien National erstreckte sich über das gesamte Stockwerk und bot einen großartigen Ausblick auf die Skyline des Kremls, der in all seiner majestätischen Schönheit ausgeleuchtet war. Die Explosion von Farben und die Dächer, die aussahen, als entstammten sie einem Zeichentrickfilm, ließen das Ganze märchenhaft erscheinen. Michael stellte fest, dass er sich zwingen musste, die düsteren, negativen Bilder zu verdrängen, die er sich im Laufe der Jahre über die russische Welt gebildet hatte. Das Russland, das er von seinem Hotelfenster aus sah, war gewiss nicht das Russland, das er sich immer vorgestellt
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