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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Cosentino
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zu Gesicht bekommen hatte.
    Sandra war zu erschöpft, um noch zu weinen, doch der
Arzt brauchte offensichtlich keine Tränen zu sehen, um Verzweiflung zu
erkennen. Nachdem sie ihre Geschichte beendet hatte, nahm Dr. Sellart ihre
Hand, in dem vergeblichen Versuch, ihr etwas Trost zu spenden…
    *
    … Nun da sie ihre Geschichte beendet hatte, sah Sandra
schuldbewusst zu Lisa.
    „Dass dieses Gefühl nie ganz verschwunden ist, ahnst
du wahrscheinlich… Ich spüre noch immer diese Kälte, wenn du mir zu
nahe kommst… Es tut mir so leid Lisa. Ich bin wirklich eine schlechte Mutter
gewesen.“
    Lisa wollte diesmal die richtigen Worte finden und sie
bemühte sich, ohne jede Aggression zu sprechen.
    „Mama… Ich habe jetzt fünfzehn Jahre lang mit
angesehen, wie du zusammenzuckst, jedes Mal wenn ich dir zu nahe komme. Ich
habe inzwischen viele Bücher über Psychologie gelesen und wenn ich in
ein Internetcafé gehe, dann recherchiere ich nicht den letzten Klatsch
und Tratsch über irgendeine Musik-Band, sondern ich lese Foren von Leuten,
die Ähnliches durchgemacht haben wie du. Es gibt viele Mütter, die
ein Kind aus einer Vergewaltigung geboren haben und nicht eine einzige hat
Angst vor ihrem Kind.“
     
    Sandra musste beschämt den Blick senken. Was hatte
sie bloß ihrer Tochter angetan! Sie liebte sie, doch gleichzeitig wusste
sie, dass etwas in ihrem Körper diese beißende Angst vor ihr nicht
überwinden konnte.
    „Lisa, es tut mir so leid, dass…“
    Lisa unterbrach ihre Mutter und fuhr in denselben
bestimmten Tonfall fort, bei dem Sandra nur zuhören konnte, die Kraft
ihrer Tochter bewundernd.
    „Das sollte kein Vorwurf sein. Du hast dich schon
entschuldigt und das brauchst du gar nicht. Ich war mit Oma glücklich, sie
war eine gute Mutter für mich. Ich will dir damit nur sagen, dass ich es
nicht für möglich halte, dass was dir passiert ist, Papas Schuld war.
Ich habe dir nichts getan und dennoch hast du vor mir genauso dieselbe Angst
wie damals vor ihm. Wir müssen mit ihm sprechen, Mama. Er weiß
vielleicht noch, was in Italien wirklich passiert ist.“
    Lisa fuhr erleichtert fort, nachdem Sandra durch ein
Nicken bestätigte.
    „Ich habe seine E-Mail gelesen, er will mit dir sprechen
und ich will ihn sehen. Ich will, dass er weiß, dass es mich gibt und ich
will, dass wir uns alle drei zusammen hinsetzen und ein Puzzle lösen. Ich
kann italienisch... Gut. Aber Mama, ich kann noch viel mehr und das ist mir
unheimlich, genauso unheimlich, wie das, was du in deinen Albträumen
siehst. Das ist der Grund, weshalb wir uns alle drei zusammensetzen werden und
uns erst wieder trennen sollten, wenn wir Antworten haben. Wenn du ihm nicht
antwortest, dann tu ich das. Du hast bis morgen Zeit dafür. Jetzt
überlege es dir. Ich geh jetzt, damit du klar denken kannst.“
    Beim letzten Satz hatte Lisa sich einen bösartigen
Unterton nicht verkneifen können. Dass sie jahrelange Bösartigkeiten
und Aggressionen nicht in fünf Minuten abstreifen konnte, empfand Sandra
jedoch als selbstverständlich. So gewohnt war sie es, solche Ausbrüche
zu ignorieren, dass sie nicht darauf einging, als sie ihrer Tochter eine gute
Nacht wünschte… In gewisser Weise hatte sie Lisas Bösartigkeiten
verdient. Auch sie hatte diese Foren gelesen. Auch sie wusste, dass ihre
Reaktion nicht zu erklären war, was sie schon immer ein schlechtes Gewissen
gegenüber ihrer Tochter verspüren ließ. Dieses kurze
Gespräch mit ihr hatte ihr gezeigt, wie reif Lisas Überlegungen schon
waren. Wahrscheinlich würde sie ihrem Wunsch entsprechen müssen,
ihren Vater herkommen zu lassen. Als Lisa schon auf dem Treppenabsatz war,
kehrte sie noch einmal um. Eine Frage schien sie noch zu quälen und sie
stellte sie.
    „Kennst du jemand, der Giorgio heißt?“
    Als Sandra die Frage hörte, wollte sie zunächst
einfach nur verneinen. Sie kannte keinen Giorgio. Doch plötzlich fühlte
sie, wie Kälte durch ihren Körper strömte. Jede Muskelfaser
fühlte sich an, als wäre sie von einer eisigen Flüssigkeit
überflutet und sie konnte kaum mehr atmen. Sie spürte nur noch Panik
und war zurückversetzt nach Italien. Bilder aus ihren Albträumen
traten hervor, Daniels Schmerz verzerrtes Gesicht erschien als altbtraumhafte
Errinnerung vor dem ihren. Sandra rang nach Luft, während sie verzweifelt
versuchte, gegen die Kälte anzukämpfen, wie sie es schon so oft hatte
tun müssen.
     
    Lisa verfiel nur einen kurzen Augenblick dem
Panikgefühl, als sie ihre Mutter

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