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Die Quelle

Die Quelle

Titel: Die Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Larissa Cosentino
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auf…
    Leathan ließ sich sanft von einer Melodie tragen,
die er selbst erzeugt hatte. Er schaffte es, seine Gedanken zu beruhigen, sich
den Weg nicht zu erzwingen, sondern ihn einfach zu gehen, als offenbare er sich
selbst… Leathan überwand Raum und Zeit, tauchte in die Vergangenheit ein,
um den Sprung in die Zukunft zu wagen. Anthalion war das Ziel seiner Visionen.
Anthalion, der Gott der dank der Macht der anderen Götter seit
zweihundertdreißig Jahren auf dieser Erde sein Unwesen trieb.
    Anfangs waren die Bilder blass und verschwommen. Visionen
waren für die Kinder der Quelle wie eine eigene reale Welt. Sie blickten
so oft in die ungewisse Zukunft, dass sie manchmal die wahren Geschehnisse
nicht mehr von ihren Visionen zu unterscheiden vermochten, die Gegenwart nicht
mehr von der wahrscheinlichen Zukunft. Das störte sie keineswegs, denn
für sie war alles gleichermaßen unbedeutend.
    Im Körper von Leathan war es um einiges schwieriger,
den Pfad der Visionen zu nehmen, doch durch seinen menschlichen Körper
hatte er es zumindest leichter, zwischen Realität und Visionen zu
unterscheiden.
    Bilder legten sich wie ein Schleier vor sein inneres Auge,
sie wurden allmählich deutlicher und schließlich tauchte er in
alternative Welten ein, in Welten voller Möglichkeiten. Derselbe
Ausgangspunkt bot plötzlich unzählige mögliche Abzweigungen.
Leathan befand sich inmitten von Anthalions Schicksal. Er sah
zweihundertdreißig Jahre in Sekunden vorbei wehen. Jahre, in denen
Anthalion es genossen hatte, die Welt mit unzähligen Gräueltaten zu
belasten, angefangen bei seiner eigenen Geburt, bei der er sich an eine Seele
geklammert hatte, um im Augenblick, da sie hätte geboren werden sollen,
ihren Platz einzunehmen. Darauf folgte, nur wenige Jahre später, das
Massaker an seinem eigenen Stamm. Zu viele Schwächen hatten sie an ihm
erkannt, es galt, deren Wissen über ihn auszulöschen... ebenso hatte
der wankelmütige Gott den einzigen Menschen, der er jemals geachtet hatte,
eigenhändig getötet. Asara war ihr Name gewesen... oder war es
Usemiel? Der Name schien mehr zu bedeuten, als es Leathan vermochte zu sehen,
doch die Vergangenheit entzog sich ihm, als die Gegenwart sich allmählich
verdeutlichte.
    Anthalion hatte sich im Laufe der Jahre mehr
verändert, als er selbst ahnte. Obwohl er jetzt noch immer gerne
Hinrichtungen oder sogar Folterungen selbst übernahm, war Überdruss
sein ständiger Begleiter geworden. Nun da Leathan Bruchstücke von
Anthalions Vergangenheit durchlebt hatte, wusste er, der Herrscher hatte es nie
gelernt, mit den Sinnen seines Körpers umzugehen und sie erschöpften
ihn. Er war süchtig nach Empfindungen und sehnte sich gleichzeitig danach,
endlich diese Welt verlassen zu können, um sie nicht weiterhin erleben zu
müssen. Leathan konnte erkennen, dass der gefürchtete Herrscher oft
tagelang in Reglosigkeit verharrte, überwältigt von dem, was sein
Körper seinem Geist zumutete. Allein der Wille der anderen Götter
holte ihn immer wieder aus seiner Lethargie heraus. Genug! Genug... So
unerträglich war es, Anthalions Existenz zu erleben... An diesem Punkt
erzwang Leathan Visionen der Zukunft.
    Bilder blitzten auf, um sofort wieder in Vergessenheit zu
geraten. Die Zukunft zu erforschen war eine ungewisse Kunst. Möglichkeiten
zeigten sich, um sofort wieder zu verschwinden und andere Varianten
aufzuzeigen. Alle möglichen Abzweigungen überlappten sich, wie ein
Film, der immer wieder verwendet wird, bis man die einzelnen Bilder, die darauf
aufgenommen wurden, nicht mehr erkennen konnte. Was am Ende noch zu sehen war,
waren die Geschehnisse, die zu diesem Zeitpunkt unvermeidbar waren.
    Leathan erschauderte, denn was er am Ende noch sah, waren
Bilder des Krieges und des Todes. Bilder von Zerstörung brannten sich in
sein Gedächtnis ein, Bilder von schreienden Menschen und gequälten
Seelen, Bilder von ihm selbst, von Wahn befallen, ziellos umherirrend. Der See
der Quelle war in leblose Dunkelheit getaucht, Ker-Deijas ein
Trümmerhaufen inmitten einer kargen Landschaft von einem eisernen Himmel
erdrückt. Leathan konnte diesen trostlosen Ort so deutlich fühlen,
als wäre er ein Teil von ihm. Er hatte eine Welt durch sein Verschulden
sterben sehen...
    Seine Seele kauerte unter dem kalten, zeitlosen Himmel
nieder, Leathan wurde Teil der Zukunft, die er sah.
    *
    Leathan lag reglos und schweißgebadet zwischen den
zerknüllten Bettlaken. Er spürte einen Schlag ins Gesicht und sein
Körper

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