Die Quelle
Augenblick ein
Siegeslächeln auf ihre Lippen zu zeichnen. Blitze und Donner
erfüllten den Himmel, so dass es einem vorkam, als würde die gesamte
Welt unter diesem Druck auseinander gerissen werden. Wolken wirbelten durch den
Himmel, um sich im nächsten Augenblick aufzulösen. Was auch immer
sich gerade abspielte, er würde später einen vollständigen
Bericht benötigen. Plötzlich erwachte Mehana aus ihrer Trance, ihre
Augen vor Entsetzen geweitet.
„Weg hier, Rückzug!“
Sulidian fragte nicht nach dem Grund. Er hob eilig die
Regentin auf sein Pferd, sprang selbst hinter ihr auf und floh, von seinen
Männern dicht gefolgt, in Richtung des Waldes am Ende der Schlucht.
Kaum hatte Ruvin die telepathische Botschaft erhalten,
fasste er seinen neuen Freund am Kragen und zog ihn von der Felskante fort. Die
Erde bebte, wie sie es noch nie getan hatte! Ohrenbetäubend war der
Lärm der einstürzenden Felswände, doch nicht diese Gefahr war
es, die die Soldaten Anthalions und auch deren Pferde in Panik versetzte. Ruvin
blieb wie angewurzelt stehen, als unten in der Schlucht sich der Boden öffnete.
Keiner der Krieger oder Priester Anthalias hatte Zeit, auf die neue Bedrohung
zu reagieren. Ruvin sah, wie jeder von ihnen erbarmungslos vom Erdreich
verschlungen wurden. Ihre Schreie konnte er nicht hören, doch sie sich
vorzustellen, kam ihm fast noch entzetzlicher vor. Er sah, wie der Boden sich
über ihnen wieder verschloss, genauso plötzlich, wie er sich
geöffnet hatte.
Stille trat ein…
Vierhundert Menschen waren samt ihrer Pferde lebendig
begraben worden.
Ruvin spürte die Erschütterung ihrer Seelen,
als würde jede einzelne von ihnen nach einem Weg suchen, mit ihm ihre Pein
zu teilen… Seine Knie wurden weich. Kraftlos setzte er sich auf den Boden und
verschloss seinen Geist…. Lissiek trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die
Schulter.
„Ich weiß nicht, was hier geschehen ist, junger
Krieger, aber wir haben gesiegt. Am Ende ist es das einzige, was zählt.“
Ruvin war nicht in der Lage, zu antworten. Er sah zu
Lissiek hoch und schämte sich seiner Tränen nicht.
*
Die Schlucht wirkte friedlich, als hätte Anthalions
Armee nie Fuß in sie gesetzt. Sogar am Himmel war Ruhe und Stille
eingekehrt. Sulidian brachte sein Pferd zum Stehen. Seine Krieger und er selbst
blickten erschüttert zurück, doch es gab nichts mehr zu sehen. Das
Geröll, die Armee, sogar die Pferde… Alles war im Boden begraben, ohne
jegliche Spur hinterlassen zu haben.
Sulidian schluckte.
Er hatte in Anthalia gesehen, wie Leathan den Boden unter
Sihldans Füssen geöffnet hatte, um ihn hineinfallen zu lassen. Hier
war Ähnliches geschehen, doch in einem unvorstellbaren Ausmaß. Er
hatte noch nie eine solche Vernichtungskraft gesehen und er wusste nicht recht,
was er davon halten sollte. Mehana saß noch immer vor Sulidian auf seinem
Pferd, ihr leerer Blick auf die Landschaft gerichtet. Tränen des
Entsetzens füllten ihre Augen. Sulidian sprach sie an, um sie in die
Realität zurückzuholen, doch auch in der Hoffnung zu erfahren, was
genau geschehen war. Schonen wollte er sie nicht, denn wenn sie weiter für
ihre Stadt kämpfen wollte, musste sie rasch ihre eigene
Zerstörungskraft akzeptieren.
„Dafür, dass ihr die Armee verschonen wolltet, habt
ihr gerade eine gewaltige Vernichtung angerichtet.“
Ihm war bewusst, wie hart seine Worte sie treffen
würden, doch er erreichte damit, was er bezweckt hatte: wenn auch mit
leiser, rauer Stimme, sie antwortete ihm.
„Das war ich nicht. Nicht wirklich. Ich habe gegen
Asildia gekämpft, während Kegalsik seinen Priestern Macht verliehen
hat. Dann ist…“
Mehana hielt mitten in ihrem Satz inne. Es fiel ihr offensichtlich
schwer zu begreifen und in Worte zu fassen, was sie gerade erlebt hatte. Erst
als Sulidian erneut nachfragte, fuhr sie fort.
„Iridien war plötzlich an meiner Seite und hat mir
seine Hilfe gewährt. Er hat mit mir gegen seinen Bruder gekämpft.
Dann hat sich Kegalsik in unseren Kampf eingemischt und ich wurde in die Enge
getrieben. Iridien bat mich, ihm zu vertrauen und ich habe zugelassen, dass ich
mich für einige Augenblicke mit ihm vereine. Er hat meinen Körper und
die Macht genutzt, die wir als Sterbliche über die Materie haben, um das
anzurichten… Er hat mich gezwungen, das zu tun.“
Sulidian betrachtete die kahle Ebene, die zu einer
gigantischen Grabstätte geworden war. Ihm fröstelte... Fast wäre
es ihm lieber, das grausam vertraute Bild
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