Die Quelle
Der
nächste, der so etwas tut, macht Bekanntschaft mit meinem Schwert!“
Histalien zog sein Schwert und das Gelächter
verstummte endgültig. Er näherte sich jedoch nicht den Männern,
sondern dem Kind, der qualvoll einem unausweichlichen Tod entgegenblickte.
Histalien stach ohne Vorwarnung zu. Das Wimmern verstummte, das Kind war auf
der Stelle tot und erlöst.
„Loslassen.“, befahl Histalien den beiden Soldaten, die
den alten Mann festgehalten hatten. Er rührte sich nicht mehr, stattdessen
weinte er.
„Wie ist dein Name, alter Mann?“
„Sulimar.“, murmelte er kaum verständlich.
„Nun, Sulimar, vom Volk der Hexer, der Junge ist
erlöst. Geh jetzt hinaus zu den anderen.“
Sulimar sah plötzlich zu Histalien hoch, als habe er
bereits seine Trauer überwunden. Drassil wäre am Liebsten einen
Schritt zurückgegangen, so respekteinflößend war der alte Mann,
der mit klarem, stolzem Blick Histalien in die Augen sah, als wolle er seine
Seele ausforschen. Drassil war sich sicher, dass auch Histalien sich
überwinden musste, um seine Autorität nicht einzubüßen.
„Gib Acht auf deine Soldaten. Zu töten reicht ihnen
nicht, sie überwinden ihre Ängste indem sie foltern und fügen
dadurch nicht nur unseren Körpern, sondern auch unseren Seelen
Verletzungen zu. Die Erlösung, die du ihm gewähren wolltest, kam für
diesen Jungen zu spät. Er wird seine Qualen auch nach dem Tod weiter
erdulden müssen. Sein nächstes Leben wird von diesen letzten
Augenblicken belastet sein.“
Drassil senkte den Blick und erschauderte, obwohl er das
Massaker nicht zu verantworten hatte.
„Abführen…“, befahl Histalien in kaltem Tonfall,
doch Drassil ahnte, wie sehr ihn die Worte Sulimars getroffen hatten. „…Und
falls ich noch eine Überschreitung dieser Art sehe, wird derjenige der sie
verübt, mit dem Tode bestraft.“, fügte Histalien noch hinzu.
Die Gruppe löste sich rasch auf, allein der alte
Soldat, der wohl das Sagen in der Gruppe hatte, schien noch weiterhin riskieren
zu wollen, Histaliens Zorn zu erwecken.
„Herr, ich würde gerne wissen, weshalb wir sie
lebend hinausgeleiten sollen, es ginge viel schneller, sie gleich hier zu
töten.“
Histaliens Blick wirkte eisig.
„Du brauchst meine Befehle nicht zu verstehen, um sie
auszuführen. Erst alle auf das Plateau führen, dann werden wir sie
töten und zwar auf meine Weise.“
Erst als Histalien mit Drassil alleine war, sah er wieder
betrübt zu dem toten Kind, das er von seinen Qualen hatte erlösen
müssen. Drassil übernahm das Sprechen, erst jetzt wurde ihm bewusst,
was gleich geschehen würde und weshalb Histalien trotz seines Sieges so niedergeschlagen
wirkte. Nun wusste Drassil, wie er seine Lüge weiter spinnen wollte.
„Hast du die neuesten Befehle denn noch nicht erhalten?“
Natürlich wirkte Histalien erstaunt. „Was meinst
du?“
„Nun, wir sollen die Gefangenen nach Ker-Deijas geleiten,
sie sollen erst dort exekutiert werden.“
Histalien runzelte ungläubig die Stirn. „Weshalb?
Das ergibt keinen Sinn.“
Trotz Histaliens Zögerns konnte Drassil genau sehen,
dass dieser Gedanke ihm gefiel. Drassil zuckte mit den Schultern, als er
antwortete, um besser zu verbergen, wie sehr er darauf hoffte, mit seiner
Lüge durchzukommen. „Was weiß ich, das sind halt Befehle… Aber unter
uns, Histalien, dieser Befehl gefällt mir… Weshalb sollten gerade wir
Nomaden diese ehrenlose Aufgabe verrichten?“
Lange bewahrte Histalien die Stille, doch
schließlich gab er zu, was ihn zögern ließ.
„Ich weiß, Drassil, dass du und dein Clan wohl kaum
in der Lage wärt, diese Aufgabe zu übernehmen. Wärt ihr jedoch
in der Lage, dabei zuzusehen, wie andere es tun? Die Gleichgültigkeit, die
du versuchst mir vorzuspielen, kannst du nicht empfinden! Drassil, ich
weiß nicht, ob ich dir vertrauen kann, wenn um das Töten von Frauen
und Kindern geht.“
Histalien war nicht dumm und er war alt genug, um sich an
das Massaker zu erinnern, auch wenn er es unmöglich mit eigenen Augen gesehen
hatte… Fast zwanzig Jahre waren vergangen, doch noch immer träumte Drassil
davon, wie er das Lager vorgefunden hatte… All die toten Frauen, all die toten
Kinder… Drassil wurde ernst. Konnte er Histalien von seiner Ehrlichkeit
überzeugen, wo ihm anscheinend bewusst war, welche Verluste Sulidians Clan
hatte erleiden müssen? Er musste es versuchen, wenn er nicht erneut Zeuge
einer solchen Gräueltat werden wollte.
„Meine Frauen und meine Kinder
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