Die Quelle
krümmten sich schmerzerfüllt und brachen
schließlich zusammen, während sich dunkle Gestalten aus ihren
Körpern lösten und sie nach all den Jahren wieder freigaben… Wie
Nebelschwaden kreisten die Geister durch das Wohnzimmer, näherten sich
fast zögerlich, bis sie sich berührten…
Auf dem Boden lagen Daniel und Sandra Arm in Arm und
betrachteten gemeinsam atemlos, wie sich langsam die Dunkelheit aus beiden
formlosen Geistern auflöste…
Sie wandelten sich zu zwei Lichtgestalten, die wie
Paillettenstaub in der Luft ausharrten. Es war kaum vorstellbar, dass sie zuvor
noch diese erschreckende Form angenommen hatten... Sie waren nichts als die
Reflektion ihres Leids gewesen… Lisas Augen füllten mit Tränen, als
sie sah, wie beide Geister, die sie diesem grauenvollen Fluch ausgesetzt hatte,
allmählich zu einer leuchtenden Silhouette verschmolzen.
Der Raum um sie herum fing an sich zu krümmen, als
würde sich ein Tor in einer weiten Leere eröffnen… Ein beruhigendes
bläuliches Licht strömte aus ihm heraus und erhellte das Wohnzimmer…
Ein Licht aus einer Ebene geboren, die Lisa nicht kennen konnte… und doch
erfasste sie Sehnsucht, als sie diese unwirklich wirkende Atmosphäre in
sich aufnahm…
Fasziniert konnte Lisa erkennen, wie die zwei
Lichtgestalten allmählich das Blau übernahmen und in einer letzten
Annäherung vollkommen ineinander verschmolzen. Was vor wenigen
Augenblicken noch erschreckend aussah, hatte sich in etwas Reines, Schönes
gewandelt, das Lisa unweigerlich an den See ihrer Träume erinnerte. Die
Lichtgestalt verblasste langsam, bis nur noch eine leichte Raumkrümmung zu
sehen war und schließlich nichts mehr. Lisa musste gegen Tränen
ankämpfen… Nun da das Wohnzimmer im matten Schein der elektrischen
Beleuchtung vor ihr lag, fühlte sie sich leer, verlassen und gestrandet…
Jetzt erst wagte es Veronika ihr stilles Gebet zu beenden
und sich sorgenvoll neben Sandra und Daniel hinzuknien. Lisa starrte nach wie
vor auf die Stelle im Raum, wo die Lichtgestalt verschwunden war.
„Lisa, hilf mir beide zum Sofa zu tragen!“
Erst die plötzlich dezidierte Stimme ihrer
Großmutter holte sie in die Realität zurück. Obwohl nun endlich
der Spuk vorbei war, konnte sie keine Freude empfinden. Die tiefe, nicht
definierbare Sehnsucht ließ sie nicht mehr los.
*
Lisa versuchte ihren Körper zu ertasten. Das Gift,
das sie vergessen ließ, war nicht mehr da, doch noch schlief sie… Gut,
das war gut… Sie hatte so sehr um ihre Erinnerungen gekämpft, sie hatte
nicht vor, sich einmal mehr dem Vergessen hinzugeben…
Sie spürte, dass es nicht Lisas Körper war, der
auf sie wartete. Es fühlte sich fremd an. Es gab nirgends etwas
Vertrautes, in das sie sich hätte einfinden können. Sie kämpfte
gegen befremdende Gedanken, die plötzlich Teil von ihr waren. Sie
verspürte dennoch keine Angst… Sie hatte, soweit sie es feststellen
konnte, keinerlei Gefühlsregungen. Alles bestand nur noch aus Logik und
Analyse.
Sie war Lisa, sie war Elena, sie war Serfaj… sie war
jeder von ihnen und noch mehr… Jetzt musste sie es schaffen, diesen Körper
zum Erwachen zu bringen. Sie hatte ihr Gedächtnis wieder gefunden, es lag
nun an ihr es zu wahren…
Kapitel 10
Das Refektorium war überfüllt, wie es nach
Sonnenaufgang immer der Fall war. Mehana hatte dennoch einen guten Platz nahe
der Küche ergattert und genoss ein zweites Frühstück. Sie liebte
es, in der Menge zu sitzen und die Gedanken der gerade erwachten Menschen zu
verfolgen.
Die meisten waren noch nicht ganz wach, irrten noch zum
Teil in Traumwelten, dennoch waren sie schon damit beschäftigt, den
Tagesablauf zu planen. Zwischen Gartenarbeit, Feldarbeit, Weben, Lehren,
Töpfern, Kochen, Schmieden fand Mehana den nötigen Ansporn, um sich
ihrer eigenen Aufgabe zu widmen: Regieren.
Schließlich schickte sie ihre Gedanken zu Alienta.
Er war gerade bei Serfaj gewesen, sie würden ihn in Kürze im Unterrichtsraum
treffen. Wie Mehana wusste, waren die anderen Magier schon auf dem Weg dorthin,
auch sie konnte den Augenblick nicht länger hinauszögern. Es war Zeit
zu gehen.
Sie brachte ihren Teller und ihr Besteck zur Theke
zurück, ehe sie das Gebäude verließ. Kurz musste sie an die
Herrscher der Völker über den Bergen denken, die es genossen, bedient
zu werden, um sich von den anderen Mitgliedern der Bevölkerung
abzusondern. Als Alienta noch der Regent von Ker-Deijas war, hatte Mehana ihn
damals bei dem Gedanken ertappt,
Weitere Kostenlose Bücher