Die Quelle
Stelle wieder ein, als alle Reiter es gleichzeitig
spürten: Mehana rief sie um Hilfe. Leise, heimlich…
Der Ruf war allein für die Armee bestimmt.
Während sich die meisten Krieger noch Gedanken darüber machten, was
das bedeuten konnte, erteilte Esseldan bereits seine telepathischen Befehle.
Ein kalter Schauder erfasste Galtiria, als sie gemeinsam mit den anderen
Kriegern, ihr Pferd wendete und in Richtung Stadt zurückgaloppierte.
*
Aus allen Richtungen konnte man beobachten, wie die
Truppen zurück in die Stadt stürmten, ohne Rücksicht auf die
Müdigkeit ihrer Pferde. Der Krieg hatte anders begonnen, als Galtiria es
sich vorgestellt hatte: Die Gefahr lauerte offensichtlich innerhalb der
Stadtmauern. Sie spürte ihr Schwert an ihrer Seite. Würde sie es
gegen ihr eigenes Volk richten müssen? Welcher Gefahr war die Stadt
ausgesetzt?
In der Mittagssonne wirkte Ker-Deijas friedlich. Durch
sie hindurch floss der Fluss Nara, der die Felder und die Gärten zum
Gedeihen brachte und die Menschen mit Leben spendendem Wasser versorgte.
Galtiria konnte die vielen Wasserfälle der Stadt in den Sonnenstrahlen
funkeln sehen, doch trotz des gewohnt friedlichen Anblicks schnürte sich
ihre Kehle zu. Sie musste an Mehanas Worte denken und ihr Blick für ihre
schöne Heimat wurde trübe. Hatte Alientas Verrat schon Früchte
getragen? Sie konnte in der Ferne sehen, wie die anderen Krieger von ihren
Routineüberwachungen allesamt zurück in Richtung Stadt ritten. Es war
ein unheilvoller Anblick, zu sehen, wie sie im Begriff waren in ihre eigene
Stadt zu stürmen.
Mehr als siebzig Soldaten waren unterwegs gewesen, mehr
als zweihundert, so wusste Galtiria, warteten in der Stadt auf weitere Befehle.
*
Mehana stand auf der Außenmauer der Stadt und
beobachtete, wie die Wachen zurückkamen. Sie konnte nur hoffen,
Kampfhandlungen vermeiden zu können, doch es war unmöglich
vorauszusehen, was gleich geschehen würde, nun da sie ihren Visionen nicht
mehr vertraute. Ihr blieb nichts anderes übrig als abzuwarten,
möglicherweise würde sich allein Alienta als Verräter entpuppen,
doch sie ahnte, wie unwahrscheinlich dies war.
Sie hoffte und legte dabei einen Schleier über die
Aura ihrer Soldaten, so dass in der Stadt und auf den Feldern, keiner sie
bemerken würde. Die Melodie ihres Zaubers war mächtig und erreichte,
wie von einer leichten Brise getragen, jeden Winkel eines jeden Gedankens. Sie
war sich nicht sicher, ob ihre Kräfte reichen würden, um die Armee zu
verbergen, bis es vollbracht war, bis jeder Verräter enttarnt und isoliert
wurde. Ihr blieb dennoch nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Es
galt von nun an das Kriegsrecht. Ausnahmsweise würde jeder der Krieger das
Recht bekommen, die Gedanken eines jeden Einwohners bloßzustellen. Doch
zuerst würden sie sich gegenseitig der Prüfung unterziehen
müssen. Das wussten ihre Krieger noch nicht, erst musste Mehana sie
versammeln. Alles in Ruhe, einen Schritt nach dem anderen…
Loodera rief sie telepathisch, doch Mehana hatte keine
Zeit für sie, ihre Aufgabe erforderte ihre gesamte Aufmerksamkeit. Bald schon
würde auch Loodera wissen, weshalb die Regentin jetzt schwieg, obwohl ihr
Anliegen sicherlich wichtig war. Nur ungern überließ sie ihre
Tochter jetzt sich selbst, denn durch die enge Verbundenheit, die sie gerade
mit den Bewohnern der Stadt eingegangen war, wusste Mehana längst: Serfaj
war erwacht.
*
Nur langsam hatte Lisa es geschafft, sich aus dem tiefen
Schlaf zu befreien. Etwas hatte sich geändert, etwas war wieder neu. Der
Körper war ihr nicht mehr fremd. Er wusste nun, wer er war. Er war Serfaj,
ein Krieger mit starken, magischen Kräften… Doch nein, sie war noch immer
Lisa, die, die einst Elena war, die, die einst kein Mensch sein wollte…
Lisa versuchte den Gedanken abzuschütteln, der sie
zwingen wollte, sich zu verleugnen. Sie war erneut im Begriff sich zu
vergessen.
Sie versuchte mit Gedanken an ihre Familie ihr
Bewusstsein zu stärken. Sie dachte an ihre Mutter, ihre Großmutter
und an ihren Vater… Sie dachte an Giorgio.
‚Giorgio, hilf mir!’
Sie rief nach ihm in die Unendlichkeit des Universums
doch Giorgio war fort, er konnte ihr nicht helfen, er wollte es nicht mehr.
Warum hatte sie ihn gehen lassen? Ja, sie wusste es wieder… Er konnte ihr nicht
mehr helfen, er brauchte ihr nicht mehr zu helfen, denn sie war stark genug,
alleine zu existieren.
Stark genug.
Loodera hatte beobachtet, wie Serfaj im Schlaf etwas
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