Die Quelle
als sei sie ihre Heimat.
Ker-Deijas war vor Jahrtausenden an einem Berghang
errichtet worden... oder in den Berghang hineingemeißelt worden, oder
viel eher, wie Lisa plötzlich ahnte, magisch in den Berg hineingedacht
worden. Ihr wurde in diesem Augenblick bewusst, dass niemand etwas über die
Erbauer von dieser wundersamen Stadt wusste.
Sie gingen entlang der vielen Treppen und steilen
Straßen, die es hier gab. Wie gut, dass sie diesen kräftigen
Körper zur Verfügung hatte, denn Lisa war nicht unbedingt solche Art
der Spaziergänge gewöhnt. Sie bewunderte, wie Serfaj es oft zuvor
getan hatte, die prächtigen Gärten, durch die kleine Bäche
flossen. Es erinnerte sie etwas an Elenas Heimat in Italien, jedoch waren hier
alle Gebäude aus weißem Stein, kühl und hart wie Marmor und die
Gärten waren noch prachtvoller. Dürre war hier wohl kein bekanntes
Problem.
Als beide einen kleinen Wasserfall passierten, der
zwischen zwei Mauern verschwand, erkannte Lisa diesen Ort als öffentliche
Dusche. Ihr wurde bewusst, wie klebrig sich ihr Körper anfühlte.
„Wie lange, sagst du, habe ich nichts gegessen?“, erneut
klang ihre eigene, tiefe Stimme fremd, doch sie bemühte sich, sie zu
ignorieren.
„Seit über fünf Wochen.“
Lisa überlegte. „Geduscht habe ich dann wohl auch
nicht, oder?“
„Nein, auch nicht.“, antwortete Loodera lächelnd.
Als Loodera sie kurz darauf in die Dusche begleiten
wollte, wehrte sich Lisa. Ihr wurde gleichzeitig bewusst, dass Schamgefühl
hier unbekannt war, doch sie hatte nicht vor, ihre eigene Natur zur Gänze
zu verraten.
„Dafür brauche ich keine Hilfe, Loodera.“
Loodera schien es wohl schwer zu fallen, ihren
Beschützerinstinkt zu verdrängen, doch schließlich fand sie
sich damit ab, außerhalb des Duschbereichs zu warten.
Lisa betrachtete, was in Ker-Deijas als Dusche galt und
versuchte es nicht mit den Duschen aus ihrer Welt zu vergleichen... Im Grunde
war es nichts weiter als ein Wasserfall. Die Gischt des Wassers, das sich von
einem Felsen hinab stürzte und in den kleinen Löchern in den rauen
Boden verschwand, erfüllte den gesamten Duschbereich mit einen leichten
Sprühnebel, in dem die helle Sonne sich reflektierte. Sie konnte jetzt
schon winzige, eisige Tropfen auf ihrer Haut spüren. Wie friedlich ihr
dieser Ort vorkam, obwohl das Wasser ihn mit einem lauten Rauschen
erfüllte. Sie schnürte langsam ihre Tunika auf, plötzlich
begierig sich unter dem eisigen Wasserfall zu stellen… Sie sah dabei auf einen
Korb, der nahe dem Eingang stand. Sie wusste, er diente dazu, die verschmutzte
Kleidung hineinzuwerfen. Sie zog sich vollständig aus, dabei vermied sie
es, sich anzusehen und sie berührte ihren Körper nicht mehr, als es
unbedingt erforderlich war…
Als das kalte Wasser über ihren Körper floss,
spürte sie den erwarteten vereisenden Effekt. Es war ein befreiendes
Gefühl, leicht betäubend. Nicht nur ihr Körper wurde gereinigt,
sondern auch ihre Gedanken. Für einen Augenblick vergaß sie alles,
was um sie herum passierte. Sie nahm den Augenblick an, ohne nach Antworten zu
suchen. Sie wurde zu einem fühlenden Wesen, das Denken war vorerst
zweitrangig und vergessen. Ihr Körper war wundervoll, harmonisch,
kräftig, ausdauernd... Nun wünschte sie, sie hätte einen
Spiegel, um ihn zu betrachten.
Wurde sie plötzlich narzisstisch?
Nein, sie entdeckte sich nur neu. Er entdeckte sich neu.
Er war nicht mehr Lisa, er war jedoch auch nicht Serfaj,
an dessen Denkweise er sich zwar erinnern konnte, die aber der seinigen nicht
entsprach.
Fast zögerlich verließ er die hypnotische
Dusche. Er holte nur langsam frische Kleidung aus dem steinernen Regal, um der
leichten Brise eine Chance zu geben, seinen nassen, kalten Körper zu
trocknen. In Ker-Deijas trugen alle dieselbe Kleidung.... Handtücher gab
es keine.
Lisa trug in Serfajs Körper so viel Wissen,
über das sie auf Abruf verfügen konnte... Sie wusste nur noch nicht, wonach
sie zuerst in diesem überfüllten Gehirn suchen sollte... Sie
würde wohl zunächst lernen müssen, hier zu leben.
Noch einmal betrachtete sie den kleinen Wasserfall, der
als Dusche diente. Das Wasser kam direkt von den Bergen und hatte nur wenig
Zeit, warm zu werden, indem es über den Dächern der Stadt die
Sonnenstrahlen aufnahm. In Lisas Körper hätte sie die Kälte des
Wassers wohl kaum ertragen, sie hatte immer gerne eher zu warm als zu kalt
geduscht.
Loodera bemerkte die Änderung in Serfajs Verhalten,
als
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