Die Rache der Engel
was…«
Er konnte seine Frage nicht beenden.
Zwei dumpfe Detonationen mischten sich unter das Pfeifen des Hubschraubers und die Schädel der beiden Polizisten schlugen gegen die Kopfstützen. Die Schüsse aus der SIG Sauer, die der Mann in seiner Hand hielt, waren so sicher gesetzt, dass die beiden Männer aus der Welt der Lebenden gerissen wurden, ohne es überhaupt zu bemerken. Sie hörten nicht einmal, was ihr Henker sprach, eine Art Litanei mit Wendungen wie » Nerir nrants« und » Ter, yev qo girkn endhuni!«, bevor er sich bekreuzigte und weglief.
11
» Das wird eine lange Geschichte, Mr Allen. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich sie Ihnen wirklich erzählen soll.« Ich musste mich zusammenreißen.
Nicholas Allen lehnte sich mit ernstem Gesicht im Stuhl zurück und legte seine kräftigen Hände auf den Tisch.
» Das ist schon in Ordnung. Ich möchte aber, dass Sie über das nachdenken, was ich Ihnen jetzt sage, bevor Sie weitersprechen: Ihr Mann hat das Lebenszeichen, das seine Entführer geschickt haben, benutzt, um Ihnen eine Nachricht zu übermitteln. Aber auch eine Warnung. Ich nehme an, dass Ihnen das aufgefallen ist, oder?«
Ich nickte, ohne mir allerdings ganz sicher zu sein.
» Als ich den Film vor ein paar Stunden in Washington gesehen habe«, sagte Allen, während er über das iPad strich, » habe ich Ihren Mann dahingehend verstanden, dass er Sie vor jemandem warnt, der Ihnen etwas wegnehmen könnte, was Ihnen gehört. Besitzen Sie etwas Wertvolles, das beschützt werden muss?«
So wie der Amerikaner die Frage aussprach, hatte ich das Gefühl, als wünschte er die Antwort bereits im Voraus. Und in der Tat wartete er nicht einmal, bis ich den Mund aufmachte.
» Eines steht zumindest fest«, redete er weiter. » Ihr Mann täuscht sich nicht, wenn er meint, dass auch Sie in Gefahr schweben.«
Ich bekam Angst.
» Denken Sie, dieser ›Mönch‹ aus der Kathedrale wollte…?«
» Was sonst? Er war schließlich hinter Ihnen her. Ich bin mir da ganz sicher. Hat er mit Ihnen gesprochen? Hat er Ihnen etwas gesagt?«
» Er nannte den Namen von Martin…«
» Wie das, Mrs Álvarez?«
» Ich weiß nicht…«, brachte ich hilflos hervor. » Eigentlich habe ich ihn gar nicht richtig verstanden!«
» Schon gut. Machen Sie sich keine Sorgen. Eins nach dem anderen. Wenn Sie nichts dagegen haben, würde es mich freuen, wenn Sie zuerst meine letzte Frage beantworten könnten.«
Neustart.
» Einverstanden«, seufzte ich.
» Welche Gabe meinte Ihr Mann, Mrs Álvarez?«
» Ich habe die Gabe der Vision, Colonel Allen.«
Ich antwortete ohne groß nachzudenken, so als würde ich mich von einer Last befreien. Und wie ich nicht anders erwartet hatte, sprach aus Nicholas Allens Gesichtsausdruck Unverständnis. Wie bei allen.
» Ach so. Tja, das wird wohl wirklich eine lange Geschichte…«, meinte er nur und zuckte mit den Achseln.
Noch ehe er weitersprechen konnte, übernahm ich das Wort.
» Es ist ein seltenes Familienerbe, verstehen Sie? Ich nehme an, diese Gabe ist angeboren. Schon meine Mutter besaß sie, und meine Großmutter auch. Alle Frauen mütterlicherseits in meiner Familie, an die ich mich erinnern kann, hatten sie. Manchmal habe ich gedacht, es ist ein Gendefekt. Ich habe versucht, sie mit Medikamenten zu bekämpfen, aber das hat nichts gebracht. Ich weiß nicht, wie, aber Martin musste mich nur ansehen und wusste Bescheid, und er hat mir geholfen, damit zu leben.«
» Was bedeutet diese Gabe?«
» Das ist schwer zu erklären, Mr Allen«, begann ich und griff nach einer Serviette, um sie mir um die Finger zu wickeln, wie immer, wenn ich nervös werde. » Ich habe nie damit angegeben und ich habe sie auch nie für andere erkennbar eingesetzt. Aber Tatsache ist, dass Martin sie sofort bei mir bemerkte. Er kannte zum Beispiel meine Fähigkeit, einen Gegenstand in die Hand zu nehmen und seine Geschichte vor mir zu sehen: Ich wusste, wo er zuvor gewesen war und wem er gehört hatte. Martin erklärte mir, dass manche Wissenschaftler diese Fähigkeit des Sehens als Psychometrie bezeichnen. Unter bestimmten Umständen kann ich auch meine eigene Sprache vergessen und in fremden Sprachen sprechen. Einmal konnte ich mich während einer Trance, in die mich meine Großmutter versetzt hatte, in perfektem Latein äußern. Das nennt man Xenoglossie, das Reden in fremder Zunge. Das Gute daran war, dass Martin mir half, das Ganze zu akzeptieren und die Angst vor diesen Dingen zu verlieren.«
Wenn
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