Die Rache der Engel
weist doch alles darauf hin, dass hier die PKK am Werk ist.«
» Wollen Sie uns etwa weismachen, dass eine Gruppe kurdischer Separatisten, die kaum Geld hat, um Munition für ihre Kalaschnikows zu kaufen, über Hightech-Waffen verfügt?«
Jenkins’ Gedanken brachten Hale in noch größere Bedrängnis.
» Wir sollten sie nicht unterschätzen.«
» Was genau wollen Sie damit sagen?«
» Vielleicht steckt hinter der PKK jemand, der taktisch und technologisch weitaus besser ausgerüstet ist.«
» Vielleicht? Ist das eine Vermutung oder haben Sie irgendwelche Beweise dafür?«
» Sehen Sie sich doch den Bericht an«, forderte Hale ihn auf. » Sie werden darin ein Detail finden, das… hm… das diese These unterstützen könnte. Martin Faber wurde entführt, während sich ein außergewöhnlicher Verkehrsstau auf der Landstraße ereignete, die den türkischen Grenzposten mit Bazargan im Iran verbindet. Diese Bergregion ist schwer zugänglich, es gibt dort nur ein paar verstreute Weiler, und offiziell ist die Grenze seit 1994 geschlossen. Außerdem leben dort nur wenige Menschen.«
» Ja, und?«
» Unsere Quellen betonen, dass am Tag von Fabers Verschwinden ohne ersichtlichen Grund im gesamten Gebiet der Strom ausfiel.«
» Ein kompletter Stromausfall?« Die blauen Augen des Präsidentenberaters funkelten zeitgleich wie sein Feuerzeug.
» Das war kein simpler Kurzschluss«, betonte Hale. » Der Verkehrsstau wurde dadurch verursacht, dass die Motoren von sämtlichen Fahrzeugen in einem Umkreis von dreißig Kilometern versagten. Das Gleiche passierte mit den Sendeanlagen des Mobilfunks, die eigentlich mit zusätzlichen Batterien für Notfälle ausgestattet sind. Und was noch kurioser ist: Der Ausfall betraf auch die Satellitenkommunikation, den Funkverkehr von Polizei, Feuerwehr und Krankenhäusern und sogar vom Tower des türkischen Flughafens Igdir. So als hätte sich über ein fünfzig Quadratkilometer großes Gebiet ein elektromagnetischer Schirm gelegt, der für mehrere Stunden jede Energieversorgung verhinderte.«
» Meinen Sie so etwas wie den Rachel-Effekt?«, sagte Ellen. » Davon haben Sie schon einmal gehört, oder?«
Richard Hale war verblüfft. Diese Leute aus Washington wussten mehr, als er vermutet hatte.
» Sie kennen den Rachel-Effekt?«, murmelte er.
Dieser Begriff bezeichnete eine alte Geschichte aus dem Zweiten Weltkrieg. Man konnte davon ausgehen, dass der Geheimdienstattaché diese Geschichte besser kannte als irgendein anderer Kollege. Schließlich hatte Hale vor ein paar Jahren in einer Fachzeitschrift einen Artikel darüber veröffentlicht: Im Juni 1936 hatte Rachele Mussolini, die Ehefrau des italienischen Diktators, vorgehabt, ein paar Tage in Ostia, in der Nähe von Rom, zu verbringen, doch ihr Dienstwagen blieb mitten in einem Verkehrsstau von gigantischen Ausmaßen einfach stehen. Ihr Ehemann hatte sie halb im Ernst, halb im Spaß kurz vor Verlassen des Regierungspalastes noch gewarnt: » Es würde mich nicht wundern, wenn du heute bei deinem Ausflug eine große Überraschung erlebst, Liebling.« Und das tat sie. Alle Versuche des Fahrers, den Wagen wieder in Bewegung zu setzen, blieben erfolglos. Der Stillstand dauerte fast eine Stunde und betraf sämtliche Fahrzeuge, die sich in ihrer Nähe befanden, bis plötzlich mit einer unerklärlichen Synchronizität alle Motoren wieder ansprangen. In einem späteren Bericht des Duce wurde das Phänomen den Experimenten zugeschrieben, die Guglielmo Marconi zu diesem Zeitpunkt in der Gegend durchführte. Anscheinend war der Vater des Radios bei der Erforschung von Langwellenfrequenzen auf eine Art » Todesstrahl« gestoßen, den zunächst Mussolini und später dann die Truman-Regierung für militärische Zwecke monopolisieren wollten. Dabei ging es um eine einfache Bandbreite, die die Funktionstüchtigkeit von Verbrennungsmotoren stören konnte, ganz gleich ob diese zivil oder militärisch genutzt wurden oder sich auf der Erde, in der Luft oder zu Wasser befanden. Die Alliierten machten diesen » Strahl« auch für den Tod von hunderten kleinen und größeren Tieren in der Umgebung von Marconis Landhaus verantwortlich. Tiere, deren Gehör empfindlicher ist als das menschliche Ohr und die das Signal empfingen, verloren die Orientierung und starben an einem Hirnschlag. Diese Nebenwirkung hatte Marconi dermaßen beeindruckt, dass er auf der Stelle alle seine Versuche abbrach.
» Der Rachel-Effekt«, pflichtete Hale bei. » Seit Jahren hat
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