Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
sich unter seiner abweisenden Schale ein sehr weicher Kern verbarg.
Luce hatte sie und Robin ein paar Wochen zuvor für einige Tage besucht. Wie viele Jungen in seinem Alter war er nicht gerade sehr gesprächig gewesen – zumindest ihr gegenüber nicht. Aber er hatte sehr zufrieden gewirkt. Robin war ihrem großen Bruder kaum von der Seite gewichen.
Adela hielt mit dem Nähen inne und blickte über den Garten. Manchmal fragte sie sich, ob sich Robin nicht lieber bei Luce, Marian und Yvain aufhielt als bei ihr.
Ein roter Farbtupfer tauchte jetzt am Rand des Obstgartens auf. Robin, die ihre Strohpuppe in der Hand hielt, rannte zwischen den Bäumen hindurch. Immer wieder blieb sie stehen und wirbelte mit ihren Füßen das welke Laub auf. Doch schließlich lief sie zu Adela und ließ sich neben ihr auf die Bank gleiten.
Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen leuchteten. »Marian hat mir ein Band für mein Haar geschenkt«, sagte sie eifrig und deutete auf den grün und schwarz gewebten schmalen Stoffstreifen, der im Nacken um ihre Locken geschlungen war. »Und Aline hat auch eines bekommen.« Tatsächlich hielt ein Stück desselben Bandes auch den Strohzopf der Puppe zusammen. »Später darf ich Marian und der Köchin beim Backen helfen.«
Wieder fühlte Adela ihre Unsicherheit. Sie holte tief Luft. » Robin …« Sie konzentrierte sich auf die Nadel und das Leder in ihren Händen. »Die Nonnen in Barking haben dir doch bestimmt erzählt, dass ich einmal sehr krank war. Nicht nur mein Körper war krank, sondern auch meine Seele. Ich war so verzweifelt, dass ich mir das Leben nehmen wollte …« Sie wusste nicht mehr weiter. Sie konnte Robin nicht sagen, dass sie sie hatte töten wollen, um sie zu beschützen.
»Ja, ich weiß.« Robins Stimme klang, als ob sie etwas ganz Selbstverständliches sagte. »Du bist mit mir in die Themse gegangen. Aber dann hast du es dir anders überlegt und mich wieder ans Ufer gebracht, wo mich eine Schwester fand.«
Als Adela es wagte, ihre Tochter anzusehen, baumelte Robin nachdenklich mit ihren kurzen, rundlichen Beinen. Der Vorfall schien nichts Schreckliches für sie haben.
»Da war ein Fisch, ein Lachs, im Wasser«, flüsterte Adela, die den Moment auf einmal ganz deutlich vor sich sah. »Ich habe mich daran erinnert, wie dein Vater und Luce einmal einen Lachs in einem Bach fingen und Luce den Fisch wieder zurück ins Wasser warf, da er ihn so schön fand und ihn deshalb nicht töten wollte.«
Robin kuschelte sich an sie. »Du hast mir noch nie etwas von meinem Vater erzählt«, sagte sie ein bisschen vorwurfsvoll.
»Habe ich das wirklich nicht?«, fragte Adela erschrocken.
»Nein«, Robin schüttelte energisch den Kopf, »nur Luce hat mir von ihm erzählt. Zum Beispiel, dass unser Vater und Simon gute Freunde waren.«
»Ja, das waren sie.« Adela lächelte. »Und sie haben viel Unsinn zusammen angestellt.«
Während Adela erzählte, lauschte Robin gebannt. Adela wurde klar, wie lange sie nicht mehr ausführlich von Francis gesprochen hatte, und sie fühlte sich ihm plötzlich wieder sehr nah. Erst nach einer ganzen Weile, als die Sonne hinter das Haus gewandert war, wurde Robin unruhig. »Ich habe versprochen, Marian zu helfen«, sagte sie. »Sie wartet bestimmt auf mich.«
»Ich begleite dich«, erwiderte Adela lächelnd, die nun nicht mehr befürchtete, dass ihre Tochter vor ihr fliehen wollte. »Dann kann ich ihr nämlich gleich die Weste mitbringen.«
»Hat Simon auch schon als Kind Lieder geschrieben?«, fragte Robin, während sie auf das Gutshaus zugingen. Alle Fenster standen wegen des warmen Wetters offen. Der Wein, der an der Südseite emporrankte, hatte die gleiche intensive rote Farbe wie Robins Haar.
»Soviel ich weiß, hat Simon sich schon als kleines Kind Geschichten ausgedacht.« Adela nickte.
»Als er und Ann sich von uns verabschiedet haben, hat er mir eine Geschichte versprochen«, erklärte Robin sehr ernst. Sie waren gerade um das Wohnhaus herumgeschritten, und vor ihnen lag das kleine, strohgedeckte Küchengebäude, als Robin auf einmal mit heller Stimme rief: »Simon!«
Im ersten Moment dachte Adela, ihre Tochter wollte ihr noch etwas von Simon erzählen. Doch dann sah sie ihn zusammen mit Yvain leibhaftig vor den Ställen stehen. »Simon, was für eine schöne Überraschung!« Mit ausgestreckten Armen lief sie auf ihn zu.
Simon erwiderte ihre Umarmung, ehe er Robin hochhob und ihr liebevoll durch das Haar zauste. »Auf unserem Hof ist
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