Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
jetzt nach der Ernte nichts mehr zu tun, deshalb dachte ich, ich könnte wieder einmal für ein paar Wochen mein altes Wanderleben aufnehmen«, sagte er und grinste. »Natürlich hat mich mein Weg als Erstes hierhergeführt.«
»Auf einem Hof ist immer etwas zu tun«, bemerkte Yvain.
»Ach, wer will schon unbedingt Zäune reparieren und Strohdächer flicken.« Simon winkte lässig ab.
»Hast du dir eine Geschichte für mich ausgedacht?«, unterbrach Robin, die wieder auf den Boden gesprungen war, die Frotzelei der beiden Männer.
»Ja, das habe ich. Ich erzähle sie dir später.« Simon nickte.
»Von was handelt sie denn?«
»Ich verrate nur so viel: von einem Drachen.« Er breitete seine Arme weit aus, so dass er in seinem schwarzen Umhang, mit der Sonne in seinem Rücken, tatsächlich etwas von einem Untier an sich hatte. Robin kreischte in begeistertem Schauder auf.
Yvain wechselte einen raschen Blick mit Adela, ehe er nach Robins Hand griff. »Komm einmal mit in den Stall. Wenn du magst, darfst du dabei helfen, Simons Pferd trocken zu reiben.« Robin ging willig mit ihm.
»Wie geht es Ann?«, fragte Adela rasch, die dankbar für die Gelegenheit war, kurz unter vier Augen mit Simon sprechen zu können.
»Gut, sie genießt es, unsere Knechte und Mägde und mich herumzukommandieren. Sie hat einen kleinen Garten angelegt und außerdem hat sie auch noch den größten Teil der Erntearbeit organisiert.« Simon lachte. »Aber was viel wichtiger ist: Sie erwartet seit ein paar Wochen ein Kind.« Adela spürte, dass er, trotz seiner üblichen Ironie, bewegt war.
»Ich freue mich sehr für Euch.« Sie schob ihren Arm unter seinen, während sie Yvain und Robin hinterherschlenderten. »Was für ein glücklicher Tag heute doch ist.«
*
»Schneller, mein Guter, schneller.« Einen Tag vorher hatte Luce sein Pferd noch mehr angespornt und sich den weit ausgreifenden Bewegungen des kräftigen braunen Tieres hingegeben. Neben ihm galoppierte Philip de Tallebois, ein blonder, hoch aufgeschlossener Junge. Sie beide bildeten die Spitze einer Gruppe von Knappen, die mit den Pferden Lord Malcolms ausritten. Ihr eigener Herr, Lord Godfrey hatte sie vor einigen Tagen an den Hof des benachbarten Adligen geschickt. Hier sollten sie für vier Wochen bleiben, um einmal einen anderen Haushalt und andere Sitten kennen zu lernen.
Die Berge, die Luce in der Ferne sehen konnte, wirkten wie riesige, grob behauene Steinquader und waren in ihren höheren Regionen fast nur von Gras bewachsen. Im Winter – so hatte er sagen hören – verschwanden ihre Gipfel nicht selten tagelang in Nebel und tief hängenden Wolken. Die Landschaft in Wales war häufig wild und rau. Ganz anders als die flache Gegend um London, wo das Kloster Barking lag, oder auch als die oft sanft gewellte Normandie mit ihren von Wäldern durchsetzten Wiesen und Feldern. Wald gab es in Wales nur wenig. Doch an einem sonnigen Tag wie diesem schienen die fernen Berge wie mit einem geheimnisvollen grünen Schleier überzogen, und im Vergleich zu ihrer kargen Strenge wirkte die Hügellandschaft, durch die sie ritten, fast lieblich.
Vor Luce und Philip tauchte nun eine breite, herbstlich verfärbte Hecke auf. Fast zeitgleich setzten sie über das Hindernis.
Luce war glücklich. Was gab es Schöneres, als an einem warmen sonnigen Herbsttag im Galopp über Wiesen zu preschen und neben sich einen Freund zu haben? Denn Philip und er waren schon bald, nachdem er im Frühjahr an den Hof des Lords gekommen war, Freunde geworden. Luce hatte ein bisschen Angst gehabt, dass die anderen Knappen ihn, den Sohn eines niederen Edelmannes, der noch dazu jahrelang als eine Art Knecht in einem Kloster gelebt hatte, nicht akzeptieren würden. Er hatte sich darauf gefasst gemacht, um seinen Platz kämpfen zu müssen.
Doch er und Philip de Tallebois, der der Enkel eines Earls war, hatten sich auf Anhieb gemocht. Auf Grund seiner hohen Geburt wäre Philip wahrscheinlich sowieso einer der Anführer gewesen. Doch sein Wesen befähigte ihn erst recht dazu. Er war mutig bis zum Draufgängertum, dazu redegewandt und freundlich. Da Luce Philips Freund war, erkannten ihn auch die anderen Jungen schnell an.
Manch ein Knappe stöhnte über die vielen Pflichten, die sie zu erfüllen hatten. Aber Luce erschien das Leben am Hofe seines Herrn reich und erfüllt. Er lernte jeden Tag so viele neue Dinge und musste sich nicht mehr davonschleichen, um sich im Waffenkampf zu üben oder zu lesen und zu
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