Die Rache der Heilerin: Roman (German Edition)
wird, und ich frage mich schon die ganze Zeit, ob er die Reise nach Südengland überstehen wird …«
»Als William de Thorigny das Gut überfallen und dir …«, Ann stockte, »… Gewalt angetan hat – hat er da Luce gesehen?«
Adela begann zu zittern. »Ich bin mir sicher, dass er ihn nicht zu Gesicht bekommen hat«, flüsterte sie. »Warum willst du das wissen?«
Ann seufzte. »Vorhin, als ich das Essen geholt habe, habe ich zwei Schwestern in der Küche miteinander reden hören. Sie meinten, dass unsere Äbtissin ihren Vetter in den nächsten ein, zwei Wochen als Gast erwarte.«
»Dann müssen wir so bald wie möglich aufbrechen.« Adela wurde übel vor Angst. Gleichzeitig hasste sie sich dafür.
»Ich habe mich gefragt, ob es nicht vielleicht besser wäre, wenn du Luce bei mir im Kloster lässt.«
»Bist du verrückt geworden?« Fassungslos starrte Adela ihre Schwester an. »Wie könnte ich Luce an einem Ort lassen, wo William de Thorignys Base Äbtissin ist – die er außerdem, wie du selbst eben gesagt hast, bald besuchen wird?«
Ann griff nach ihrem Arm. Nachdrücklich sagte sie: »Ich kann verstehen, dass dir mein Vorschlag erst einmal abwegig und gefährlich erscheint. Aber bitte, hör mich an. Héloise de Thorigny ist nicht besonders klug, aber sie ist – anders als ihr Vetter – kein böser Mensch. Sie würde Luce bestimmt nicht schaden. Nur ich weiß, wer der Junge wirklich ist. William de Thorigny kennt ihn nicht, und er würde ihn außerdem für die Dauer seines Besuchs, das verspreche ich dir, nicht zu Gesicht bekommen.«
»Nein, auf gar keinen Fall.« Adela schüttelte abwehrend den Kopf.
»Wenn Luce hierbliebe, würde ich ihn im Hospital unterbringen. Er hätte Zeit, sich zu erholen.« Ann redete beharrlich weiter. »Vielleicht wäre Gerard ja auch bereit, bei ihm zu bleiben. Er könnte ihn in einigen Monaten, wenn das Wetter wieder besser wird, nach Salisbury bringen. Oder ich würde eine Ausrede erfinden und die Reise mit Luce selbst unternehmen.«
»Nein«, stieß Adela hervor, »ich trenne mich nicht von meinem Sohn. Und ich will auch nichts mehr davon hören.« Ohne darauf zu warten, ob Ann ihr folgte, rannte sie zu dem Unterstand.
*
Adelas Entschluss geriet jedoch ins Wanken, als Luce in der Nacht immer wieder von heftigen Hustenanfällen geweckt wurde. Sie flößte ihm im Schein des kleinen Feuers das Hustenmittel ein und bestrich seine Brust mit der Salbe. Während sie das Mittel aus Bienenwachs, Salbei und Minze einmassierte, fühlte sich seine Haut unnatürlich warm an.
Am Morgen stellte Adela fest, dass das Fieber nicht zurückgegangen, aber zumindest auch nicht gestiegen war. Sie gab Brot und Wasser in einen Topf und bereitete daraus einen Brei, den sie über dem Feuer erwärmte. Denn Luce hatte geklagt, dass ihm sein Hals beim Schlucken wehtue. Noch immer regnete es. Grau und trostlos breitete sich der abgeerntete Acker vor dem Unterstand aus. Trotz des Feuers und obwohl sie sich im Trockenen aufhielten, spürte Adela die klamme Feuchtigkeit.
Bald nachdem er den Brei zu sich genommen hatte, schlief Luce wieder ein. Gerard, der seine Mahlzeit schweigend verzehrt und danach Pfeilspitzen aus Ästen geschnitzt hatte, wandte sich Adela zu. »Der Junge ist wirklich krank«, sagte er in seiner bedächtigen Art. Sie spürte, dass auch er sich große Sorgen machte.
»Ja, und wir können nicht in dem Kloster bleiben.«
»Ich dachte mir schon, dass es Schwierigkeiten gibt, nachdem Eure Schwester uns gestern Abend hierhergeführt hat.« Er nickte. Wegen Luce hatten sie am Vorabend nicht miteinander sprechen können. Nun berichtete ihm Adela leise, was die Gründe dafür waren. »Meine Schwester meint, ich solle Luce bei ihr lassen«, sagte sie schließlich. »Aber ich möchte mich nicht von ihm trennen. Ich habe so große Angst, dass ihm William de Thorigny etwas antut oder ihm sonst etwas zustößt. Andererseits fürchte ich aber auch, dass er die Reise nach Südengland nicht überstehen wird.« Wieder fühlte sie sich völlig hilflos und unsicher, was die richtige Entscheidung war.
»Eure Schwester hat ganz Recht.« Gerard blickte zu Luce, der sich wie meistens an Guy gekuschelt hatte. Sein Atem ging rasselnd, und seine Wangen waren stark gerötet. Dann wandte er sich wieder Adela zu. »Ihr könnt nicht aufbrechen, ehe sich der Junge nicht erholt hat. Eine lange Reise in seinem Zustand bei diesem Wetter würde wahrscheinlich seinen Tod bedeuten.«
»Dann werde ich bei ihm
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